Praxisbeispiel
Präventionsverfahren für einen Mess- und Regeltechniker

Wo lag die Herausforderung?

Der Mann hat Multiple Sklerose und ist schwerbehindert. Durch seine Erkrankung ist der Mann auf dem rechten Auge erblindet, wodurch er in seiner Arbeit als telefonischer Berater für die Kundschaft an seinem Bildschirmarbeitsplatz eingeschränkt ist. Seine Arbeitssituation löst beim Mann zudem großen Stress aus. Es mussten Anpassungen an seinem Arbeitsplatz vorgenommen werden, damit der Mann weiterhin im Unternehmen beschäftigt werden kann.

Was wurde gemacht?

Der Mann bittet bei der Schwerbehindertenvertretung um Unterstützung, die im Rahmen eines Präventionsverfahrens eine externe Disability Managerin einschaltete. Daraufhin wurden dem Kundenberater für seinen Arbeitsplatz folgende Hilfsmittel zum Ausgleich seiner Sehbehinderung zur Verfügung gestellt:
Außerdem wurde die Arbeit anders organisiert. Der Kundenberater kann nun selbstbestimmte Pausen einlegen und sein Computer wurde aus dem System zum Workforce Management herausgenommen.

Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.

Mitarbeiter

Der 45 Jahre alte Mess- und Regeltechniker arbeitet seit 23 Jahren bei dem Versorgungsunternehmen. Er hat einen GdB (Grad der Behinderung) von 50 und ist schwerbehindert.

Unternehmen

Das Versorgungsunternehmen hat 345 Beschäftigte und eine Interessen- bzw. Schwerbehindertenvertretung / Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) wurde noch nicht eingeführt.

Fallschilderung

Als Mess- und Regeltechniker hat der Mitarbeiter nach seiner Ausbildung vier Jahre lang in einem Kernkraftwerk gearbeitet. Nach der Diagnose Multipler Sklerose konnte er aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Arbeit nicht mehr ausüben. Er bewarb sich betriebsintern auf eine Stelle als telefonischer Berater für die Kundschaft.
In einem Großraumbüro mit 80 Kundenberaterinnen und Kundenberatern sitzt der Mess- und Regeltechniker in Vierergruppen an normalen Schreibtischen. Die Kundenberaterinnen und Kundenberater telefonieren gleichzeitig in unterschiedlichen Lautstärken und Stimmlagen. Während der telefonischen Beratung werden zeitgleich am Computer die Daten der Kundschaft aufgerufen. Die Vorgänge werden zu neunzig Prozent am Rechner bearbeitet. Dies sind: Versorgerwechsel, Bankdatenänderung, Abschlagsänderung, Ein- und Auszüge sowie Zählerstände. Bei der telefonischen Abfrage, welches Anliegen die Kundschaft hat, müssen die Anrufenden die Tasten 1, 2 oder 3 drücken. Anschließend werden sie an die zuständige Kundenberaterin oder den zuständigen Kundenberater weitergeleitet. Mit Zustimmung der Anrufenden werden die Telefonate aufgezeichnet. Ein Computersystem (Workforce Management) erfasst Dauer und Inhalte der Gespräche. Dadurch ist die Kundenberaterin oder der Kundenberater unter ständiger Überwachung.
Durch seine Erkrankung ist der Mitarbeiter auf dem rechten Auge blind. Er hat einen normalen Bildschirm, was das Sehen sehr einschränkt. Bei Telefonaten kommt er zurecht. Schwierig wird es, wenn er eingescannte Briefe lesen muss. Der Mitarbeiter muss die Schreiben öfter lesen, um den Inhalt zu verstehen. Die dauernde Anspannung und hohe Konzentration verstärken seine krankheitsbedingte Müdigkeit. Seine betriebliche Situation führt bei dem Mitarbeiter zu Stress. Bei schwierigen Kunden wird er nervös, sein Tonfall gereizt.
Im privaten Bereich lässt ihn die betriebliche Situation nicht los. Ehefrau und Kinder leiden darunter. Der Druck ist für den Mitarbeiter so groß, dass er bei der Schwerbehindertenvertretung um Unterstützung bittet. Die Schwerbehindertenvertretung holt sich Hilfe bei einer externen Disability Managerin. Sie besprechen, was dem Mitarbeiter helfen könnte, seine Arbeitssituation zu verändern, und wer dabei unterstützen könnte.

Gespräch

Am Gespräch nehmen die Schwerbehindertenvertretung, die externe Fallmanagerin bzw. Disability Managerin und der Mitarbeiter teil.

Gesprächsverlauf:

Der Mitarbeiter nennt als besonders belastend die ständig hohe Konzentration, die Überwachung und damit einhergehend der ständige Druck sowie das schlechte Sehen. Er wird gebeten, sich einen Termin beim Betriebsarzt geben zu lassen und ihm seine Arbeitssituation zu schildern. Der Betriebsarzt hat die Aufgabe das Unternehmen in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu beraten.

Wünsche und Vorstellungen

Verbesserung der Arbeitssituation.

Maßnahme

Gespräch mit dem Betriebsarzt. Stellungnahme des Betriebsarztes an das Unternehmen. Inhalt der Stellungnahme ist die behindertengerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes aus arbeitsmedizinischer Sicht.
Die Verbesserungsvorschläge beinhalten: ein größerer Bildschirm, eine auf seinem Computer installierte Vergrößerungssoftware, selbstbestimmte Pausen und den Computer des Mitarbeiters aus dem Workforce Management System rauszunehmen.

Umsetzung der Maßnahme

Mit der Zustimmung des Mitarbeiters spricht die Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen mit dem Vorgesetzten. Sie will ihm die belastende Situation des Mitarbeiters erklären und auf die Umsetzung der Verbesserungsvorschläge des Betriebsarztes drängen.

Abschluss

Die Vorschläge des Betriebsarztes zur Verbesserung der Arbeitssituation des Mitarbeiters werden umgesetzt. Durch die veränderten Arbeitsbedingungen wird die Arbeit entspannter, es entsteht weniger Stress. Die Tätigkeitsanforderungen werden an die Behinderung angepasst. Der Mitarbeiter muss keine Briefe mehr beantworten. Am größeren Bildschirm kann er besser sehen. Pausen kann er nach Bedarf nehmen.
Die häusliche Situation verbessert sich. Der Mitarbeiter hat wieder Kraft mit seinen Kindern am Wochenende etwas zu unternehmen.

Fazit

Der Betroffene muss den Mut aufbringen sich an Akteurinnen und Akteure des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu wenden, über seine belastende Arbeitssituation zu reden. Hier wurde eine Veränderung möglich, weil der Betroffene sich mit der Bitte um Hilfe an die Schwerbehindertenvertretung gewandt hat und diese an den Betriebsarzt verwiesen hat. Durch Bekanntmachen der belastenden Arbeitsbedingungen durch den Betroffenen kam ein Veränderungsprozess in Gang.

Zusatzinformation

Die Beratung des Betriebsarztes nach § 3 ASiG (Arbeitssicherheitsgesetz) umfasst insbesondere die Unterstützung des Arbeitgebers und der für den Gesundheitsschutz verantwortlichen Personen u. a. bei:
  • arbeitsphysiologischen, -hygienischen, psychologischen und ergonomischen Fragestellungen,
  • der Beschaffung von technischen Arbeitsmitteln und Einführung von Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen,
  • der Beurteilung der Arbeitsbedingungen,
  • Fragen des Arbeitsplatzwechsels und der Eingliederung und Wiedereingliederung Leistungsgewandelter in den Arbeitsprozess.

Quelle

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - Sehen
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Aufmerksamkeit
  • IMBA - Ausdauer (psychisch)
  • IMBA - Konzentration
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)
  • IMBA - Sehen
  • IMBA - Umstellung
  • IMBA - Verantwortung
  • MELBA - Aufmerksamkeit
  • MELBA - Ausdauer (psychisch)
  • MELBA - Konzentration
  • MELBA - Umstellung
  • MELBA - Verantwortung

Referenznummer:

Pb/110875


Informationsstand: 01.09.2022