Praxisbeispiel
REHADAT-Wissen Asthma bronchiale – Interview "Behinderung ist kein Makel"

Kurzbeschreibung:

Ein Interview von REHADAT im Rahmen von REHADAT-Wissen: Ausgabe Asthma bronchiale.

Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
  • Berufliche Herausforderung der Beschäftigten im Unternehmen
  • Informierung des Unternehmens über einen Mitarbeiter mit Asthma bronchiale und Unterstützung seiner Arbeit
  • Förderung für das Unternehmen in Bezug auf den Mitarbeiter mit Asthma bronchiale
  • Beteiligung an der Arbeitsanpassung außer dem Technischen Beratungsdienst des LVR
  • Übernahme der künftigen Kosten in Bezug auf Hilfsmittel zum Arbeitsschutz durch das Unternehmen
  • Organisatorische Maßnahmen zur Arbeitsgestaltung
  • Zusammenarbeit im Kollegium
  • Stufenweise Wiedereingliederung
  • Förderung der betrieblichen Prävention und Inklusion auch wegen Fachkräftemangel und alternder Belegschaft
  • Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Unternehmen, ohne dies zu wissen
  • Erwähnung der Behinderung direkt in der Bewerbung
  • Empfehlung des Unternehmens zur Inklusion

Schlagworte und weitere Informationen

Das Interview mit Kevin Michels und Götz Heilemann von der Weck glass und packaging GmbH erfolgte im Rahmen von REHADAT-Wissen: Ausgabe Asthma bronchiale.

Zu den Personen:

Kevin Michels, Leiter Personal und Inklusionsbeauftragter, sowie Götz Heilemann, COO und Werkleiter, arbeiten beim Traditionsunternehmen Weck glass und packaging GmbH in Bonn. Das Unternehmen stellt Weckgläser und Verpackungsglas her und verkauft jährlich rund 450 Millionen Glasartikel. Am Standort Bonn sind 263 Mitarbeitende beschäftigt, davon 17 schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen.

REHADAT:

Welchen beruflichen Herausforderungen müssen sich Ihre Beschäftigten stellen?

Kevin Michels:

Rund 150 Beschäftigte arbeiten kontinuierlich im Schichtbetrieb, denn wir produzieren rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.

Götz Heilemann:

Wir haben zwei Schmelzaggregate und schmelzen täglich rund 300 Tonnen Glas. Neben der körperlich anstrengenden Arbeit sind Hitze, Staub und Lärm belastend.

REHADAT:

Sie haben einen Mitarbeiter mit einer schweren Asthma bronchiale-Erkrankung. Wie haben Sie von seiner Behinderung erfahren und wie unterstützen Sie ihn?

Götz Heilemann:

Die Gesundheit unserer Mitarbeiter hat für uns oberste Priorität. Die Behinderung war bereits bekannt. Unser Mitarbeiter ist gelernter Maschinenschlosser, 55 Jahre alt und in Vollzeit in der Werksinstandhaltung beschäftigt. Wir haben uns über Gebläsehelme mit Schweißerkassetten und speziellen Schweißfiltern informiert, um die Belastung durch lungenschädigende Schweißrauche und Schweißgase zu vermeiden. Die Firma 3M unterstützte uns, indem sie uns mehrere Modelle kostenlos testen ließ. Heute kann unser Mitarbeiter mit dem Gebläsehelm wieder mehr Tätigkeiten ausführen.

REHADAT:

Haben Sie als Arbeitgeber eine Förderung erhalten?

Götz Heilemann:

Die Anschaffung des Gebläsehelms wurde vollständig vom Landschaftsverband Rheinland (Anmerkung der Redaktion: Inklusionsamt) übernommen, das waren 1.482 Euro.

REHADAT:

Wer war außer dem Technischen Beratungsdienst des LVR noch an der Arbeitsanpassung beteiligt?

Götz Heilemann:

Die Personalabteilung, die Fachabteilung Werksinstandhaltung und ich selbst. Extern waren noch die Berufsgenossenschaft (BG) und die Firma 3M sowie deren lokaler Vertriebspartner beteiligt. In den nächsten zwei Jahren sollen alle Beschäftigten diese speziellen Gebläsehelme bekommen. Wegen der Kühlung sind sie wesentlich angenehmer zu tragen als eine FFP-2 oder FFP-3 Maske.

REHADAT:

Tragen Sie als Arbeitgeber alle künftigen Kosten für die Neuanschaffung der Gebläsehelme?

Götz Heilemann:

Investitionen in Arbeitsschutzkleidung sind sehr wichtig für uns. Momentan gibt es eine 20-prozentige Förderung durch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) (Stand 2023). Man kann am Ende des Jahres einen Antrag stellen und die Rechnungen einreichen, die von der BG oder vom technischen Betreuer geprüft werden.

REHADAT:

Haben Sie auch organisatorische Maßnahmen durchgeführt?

Kevin Michels:

Flexibilität und Teamarbeit sind hier besonders wichtig für uns. Unser Mitarbeiter ist aufgrund seines langen Arbeitsweges und seiner Erkrankung auch vom Bereitschaftsdienst befreit. Wenn die Belastung an einem Tag zu hoch ist, können andere Kollegen einspringen. Solche situativen Anpassungen berücksichtigen die Abteilungsleiter bereits bei der Festlegung der Arbeitsabläufe und Aufgabenverteilung.

REHADAT:

Wie ist die Zusammenarbeit mit den anderen Kolleginnen und Kollegen?

Götz Heilemann:

Es ist eine kleine Gruppe, die eng zusammenarbeitet. Das Verhältnis zu den Kollegen ist eng und vertrauensvoll. Die Kollegen sprechen auch in ihrer persönlichen Rücksprache mit den Vorgesetzten an, was der asthmakranke Mitarbeiter nicht kann oder nicht soll. Wir arbeiten in einer sehr familiären Kultur, man achtet aufeinander und steht füreinander ein.

REHADAT:

Wird in Ihrem Unternehmen die stufenweise Wiedereingliederung durchgeführt (Hamburger Modell)?

Götz Heilemann:

Ja, regelmäßig. Ich finde das Modell und Vorgehen sehr wertvoll. Es bietet dem Arbeitgeber die Chance, die Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters schrittweise wiederherzustellen und auch dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einer stufenweisen Gewöhnung an die Arbeitsbelastung ohne Druck.

REHADAT:

Fördern Sie angesichts des Fachkräftemangels und der alternden Belegschaft verstärkt betriebliche Prävention und Inklusion?

Kevin Michels:

Das Thema ist eine absolute Priorität für das ganze Unternehmen. Wir leben eine vertrauensvolle, familiäre Unternehmenskultur, in der Arbeitsschutz und Prävention fest verankert sind. Vom Top-Management bis zu den Mitarbeitern werden Themen offen diskutiert und aktiv angegangen. Veränderungen werden oft kurzfristig und ohne großes Aufsehen umgesetzt, wie zum Beispiel die Einführung von Gummimatten an Werkbänken für einen besseren Standkomfort oder Maßnahmen, die sich aus dem betrieblichen Eingliederungsmanagement ergeben.

Götz Heilemann:

Betriebliche Prävention und Inklusion sind für uns von jeher eine Priorität – unabhängig von gesetzlichen Anforderungen oder der Situation am Arbeitsmarkt. Der Arbeitsschutz erfährt heute generell eine höhere Qualität und Wertschätzung – das finden wir richtig und wichtig. Das gestiegene Interesse an Sicherheit ist in der Gesellschaft verankert und wird durch die Gesetzgebung sowie gesellschaftliche Veränderungen unterstützt.

REHADAT:

Beschäftigen Sie möglicherweise Menschen mit Behinderungen, ohne von ihrer Einschränkung zu wissen?

Götz Heilemann:

Wahrscheinlich gibt es bei uns Beschäftigte, die Einschränkungen haben, sich dessen aber nicht bewusst sind oder diese nicht als Behinderung anerkennen lassen würden, weil sie es nicht notwendig finden. Beispielsweise im Bereich des Hörens oder in psychischen Belangen. Doch die Anerkennung einer Behinderung kann auch Chancen zur Förderung eröffnen.

Kevin Michels:

Da wir eine Vertrauenskultur pflegen, unterstützen wir die Mitarbeiter bei Anträgen auf Schwerbehinderung und arbeiten dabei intern mit der Schwerbehindertenvertretung (SBV) und dem Betriebsrat zusammen.

REHADAT:

Würden Sie Bewerbenden empfehlen, ihre Beeinträchtigung direkt in der Bewerbung zu erwähnen?

Götz Heilemann:

Ja natürlich, wir wünschen einen offenen Umgang und wertschätzen Transparenz von Seiten der Bewerber und Mitarbeitenden. Wenn mir die Einschränkungen nicht bekannt sind, ist Handeln schwierig. Oft lassen sich Abläufe anpassen oder organisatorische Änderungen vornehmen. Kleine Hilfsmittel können einen großen Unterschied machen.

Kevin Michels:

Ich kommuniziere meine offene Haltung hierzu, was die Bewerber schätzen.

REHADAT:

Was empfehlen Sie anderen Unternehmen in Bezug auf Inklusion?

Kevin Michels:

Scheuklappen ablegen und Offenheit gegenüber allen Beeinträchtigungen. Aus allem lassen sich Potenziale schöpfen, von denen alle Beteiligten profitieren können. Es lässt sich nicht immer eine adäquate Lösung finden. Auch dann ist eine offene und ehrliche Kommunikation gefragt, damit man gemeinsam nach guten Alternativen suchen und eine Lösung im Sinne von Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden kann.

Götz Heilemann:

Eine Beeinträchtigung ist kein Makel. Diese Arbeitnehmer können trotzdem einen sehr wertvollen Beitrag leisten. Man sollte keine Bedenken vor dem damit verbundenen Aufwand oder der Verantwortung haben und es einfach ausprobieren – es birgt viele Chancen.

Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • IMBA - Arbeitssicherheit
  • IMBA - Gase/Dämpfe/Stäube
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)

Referenznummer:

PB/111287


Informationsstand: 10.10.2024