Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement für eine Kommissioniererin bei einer Spedition

Wo lag die Herausforderung?

Die Kommissioniererin fehlte aufgrund von akuten Venenentzündungen und offenen Beinen über drei Jahre hinweg häufig an ihrem Arbeitsplatz in einer Spedition. Aufgrund der hohen Fehlzeiten wollte das Unternehmen eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen und schaltete den Betriebsrat ein.

Was wurde gemacht?

Der Betriebsrat wies darauf hin, dass vor einer Kündigung aufgrund der Fehlzeiten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) angeboten werden müsste. Als Maßnahme zur Vermeidung der Belastungen und Ausfallzeiten, wurde gemeinsam im Rahmen des BEM beschlossen, dass die Mitarbeiterin weiter als Gabelstapelfahrerin im Unternehmen arbeiten sollte. Die Frau absolvierte dazu die erforderliche Ausbildung und wurde danach langsam eingearbeitet. Die Kündigung konnte so verhindert und auch die Ausfallzeiten stark reduziert werden.

Schlagworte und weitere Informationen

Während der Weiterbildung zur Gabelstaplerfahrerin erhielt das Unternehmen einen Eingliederungszuschuss bzw. speziell einen Ausbildungszuschuss von der Arbeitsagentur. Die Arbeitsagentur war als Träger der Leistungen zuständig, da die Mitarbeiterin die Wartezeit von 15 Jahren zur Förderung durch die gesetzliche Rentenversicherung noch nicht erfüllt hatte und die Förderung auch nicht direkt nach einer medizinischen Reha erfolgte.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Arbeitsagenturen.

Unternehmen und Mitarbeiterin

Die Kommissioniererin ist 38 Jahre alt und arbeitet seit sechs Jahren 40 Stunden in der Woche in einer Spedition mit insgesamt 42 Beschäftigten. Ihr Arbeitsplatz ist eine große Halle. Dort stellt sie die angeforderten Waren versandfertig an einem Packtisch zusammen. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist beim Unternehmen nicht bekannt.

Kündigung und Mitbestimmung des Betriebsrates

Das Unternehmen leitet dem Betriebsrat eine Kündigung für die Kommissioniererin zu und bittet um dessen Zustimmung (vgl. § 102 BetrVG Mitbestimmung bei der Kündigung). Es begründet die Kündigungsabsicht mit den hohen Fehlzeiten in den letzten drei Jahren, die im Schreiben wie folgt aufgelistet sind: Im ersten Jahr fehlte die Kommissioniererin 173 Tage, im zweiten Jahr 183 Tage und im dritten Jahr 179 Tage durch Krankheit. Das möchte das Unternehmen nicht länger hinnehmen und eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen.

In einer einberufenen außergewöhnlichen Sitzung berät der Betriebsrat über das Kündigungsbegehren. Der Betriebsrat weiß, dass ohne ein BEM-Verfahren eine Kündigung vor einem Arbeitsgericht kaum zu erreichen ist. Solch ein Gespräch kann bisher nicht stattgefunden haben, denn dann wäre der Betriebsrat involviert gewesen. So widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung der Kommissioniererin und begründete dies mit dem fehlenden BEM-Verfahren.

Nachgeholtes BEM-Gespräch

Daraufhin will das Unternehmen das Verfahren und ein Gespräch nachholen. Dem Betriebsrat sicherte es zu, dass zukünftig solch hohe Fehlzeiten bei keinem Beschäftigten mehr auflaufen. Es soll ein geregeltes BEM-Verfahren eingeführt werden, um sich frühzeitig um erkrankte Beschäftigte kümmern zu können.

Die Kommissioniererin wird dann schriftlich zu einem BEM-Gespräch eingeladen. Sie bekommt schriftliche Informationen zu diesem Verfahren und das Angebot, sich ausführlich über das Verfahren bei einem Mitarbeiter in der Personalabteilung, der sich gut auskennt, zu informieren. Sie nimmt mit dem Genannten telefonisch Kontakt auf und ist mit dem Gesprächsergebnis offenbar zufrieden. Sie stimmt dem BEM-Gesprächs-Termin zu, an dem das Unternehmen und der Betriebsrat teilnehmen.

Krank machende Arbeitssituation

In diesem Gespräch erzählt die Kommissioniererin, dass sie gern im Betrieb arbeitet. Sie kann jedoch auf dem Zementfußboden nicht lange stehen oder laufen, denn sie leide unter akuten Venenentzündungen und offenen Beinen. Bei den Belastungen am bisherigen Arbeitsplatz können die nur sehr schwer heilen. Ihr behandelnder Arzt hat ihr geraten, eine wechselseitige Tätigkeit zwischen Stehen, Laufen und Sitzen zu suchen. Für einen Heilungsprozess ihrer Beine ist das deutlich günstiger.

Alternativen

Die Kommissioniererin wird danach gefragt, ob sie sich vorstellen kann, an einer anderen Stelle im Betrieb zu arbeiten. Gemeinsame Überlegungen nach einem alternativen Arbeitsplatz führen zu dem Ergebnis, dass ihr eine Arbeit als Gabelstapelfahrerin im Lager gut gefallen würde. Solch ein Arbeitsplatz ist tatsächlich gerade frei und die Kommissioniererin freut sich, dass auch das Unternehmen nichts gegen einen Arbeitsplatzwechsel hat. Allerdings müsste sie hierfür eine Qualifizierung zur Führung eines Gabelstaplers machen. Diese Möglichkeit sichert ihr das Unternehmen – auf seine Kosten – zu. Die Kommissioniererin befürchtet noch, dass sie nach der Prüfung nicht so schnell werde arbeiten könne wie die anderen. Bei der Arbeit geht es hektisch zu. Das Bestellaufkommen sei hoch und die Ware muss schnell zur Kundschaft kommen.

Eingliederungszuschuss als Unterstützung für das Unternehmen

Doch das Unternehmen kann sie beruhigen: Nach ihrer Prüfung erhalte sie die Möglichkeit zu einer langsamen Einarbeitung. Er werde einen Eingliederungszuschuss beantragen (vgl. § 50 (3) SGB IX Leistungen an den Arbeitgeber). Damit kann er entweder zusätzliche Einsatzzeiten der Kolleginnen honorieren oder eine Aushilfskraft einstellen. Eine zusätzliche Belastung der übrigen Kolleginnen und Kollegen werde so in dieser Zeit vermieden.

Nach diesem konstruktiven Gesprächsverlauf wird die Umsetzung in Angriff genommen: die Kommissioniererin schafft die Qualifikation zur Gabelstaplerfahrerin. Nach der Einarbeitung im neuen Job kann sie so sicher und schnell ihre Arbeit verrichten wie die anderen. Die Krankenzeiten werden in den folgenden Jahren deutlich geringer.

Resümee

Durch das nachgeholte BEM-Gespräch, und durch die relativ einfache, zusätzliche Qualifizierung konnte ein geeigneter Arbeitsplatz bereitgestellt werden. Eine Kündigung wurde so verhindert, und eine erfahrene und zufriedene Mitarbeiterin blieb dem Betrieb erhalten.

Was hier im Ergebnis so einfach klingt, hat den guten Willen und das Wissen von allen Beteiligten zur Voraussetzung. Wir können uns den Fall auch einen Moment lang anders vorstellen: Das Unternehmen kennt seine Rechte und Pflichten nicht. Der Betriebsrat hat noch nie etwas vom BEM gehört. Es gibt kein Gespräch mit der erkrankten Beschäftigten. Es wird nicht nach Möglichkeiten außerhalb der Kündigung gesucht. Das Unternehmen kennt seine finanziellen Entlastungsmöglichkeiten nicht. Die möglichen Folgen? Stress für alle! Die betroffene Mitarbeiterin hat durch den drohenden Arbeitsplatzverlust existenzielle Ängste. Der Betriebsrat kämpft zusammen mit der Beschäftigten gegen das Unternehmen um den Arbeitsplatz. Das sieht sich brüskiert und darüber hinaus finanzielle Belastungen auf sich zukommen, die es unter Druck setzen. Die Lage ist angespannt, schaukelt sich hoch und landet – vier Wochen später und unter Einsatz großer Kraft von allen Seiten – vor dem Arbeitsgericht. Dies konnte hier verhindert werden.

Quelle

Dies ist ein Praxisbeispiel vom Institut für Personalentwicklung und Coaching (ipeco) aus dem Buch: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement – herausgegeben vom W. Bertelsman Verlag (wbv).

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Referenznummer:

Pb/110895


Informationsstand: 03.11.2022