Praxisbeispiel
Sachbearbeiter beim Landschaftsverband Rheinland

Wo lag die Herausforderung?

Der Mann war in der Produktion bei einem Maschinenbauunternehmen tätig. Aufgrund einer fortschreitenden Netzhauterkrankung, die seine Sehfähigkeit erheblich reduzierte und eine erhöhte Unfallgefährdung bedingte, konnte er seine Tätigkeit hier aber nicht fortsetzen und wurde arbeitslos.

Was wurde gemacht?

Nach einer Umschulung zum Bürokaufmann, fand er eine Anstellung beim Landschaftsverband Rheinland, qualifizierte sich zum Verwaltungsfachangestellten weiter und absolvierte eine Blindentechnische Grundausbildung.
Am Arbeitsplatz verwendet er folgende Hilfsmittel:

Schlagworte und weitere Informationen

Die Rentenversicherung förderte die Berufsfindung, die Berufsausbildung bzw. Umschulung, die Blindentechnische Grundausbildung und Hilfsmittel, wie Braillezeile, Screenreader und Großschriftkontrast-Tastatur. Die weiteren Hilfsmittel wurden im Rahmen der begleitenden Hilfen im Arbeitsleben (Bildschirmlesegerät, Großbildschirm, mobiles Zeichenlesegerät ohne Brille und Stehleuchte) von der örtlichen Fachstelle für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben bzw. Beruf gefördert, die so nur in einigen Bundesländern existieren und im Auftrag des Integrations- beziehungsweise Inklusionsamtes tätig sind.
Die Beratung zur behinderungsgerechten Gestaltung erfolgte durch den Technischen Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamtes.
In REHADAT finden Sie die Adressen und Telefon-Nummern der Fachstellen für Menschen mit Behinderung im Beruf, der Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter und auch von Ausbildungseinrichtungen für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit.

Unternehmen:

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ist ein Kommunalverband mit etwa 20.000 Beschäftigten und hat seinen Sitz in Köln. Im Rahmen der Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung engagiert sich der LVR für eine inklusive Gesellschaft, was durch sein Leitbild "Qualität für Menschen" unterstrichen wird. Die Verwaltungsorgane des LVR teilen sich in neun Dezernate auf, von denen der Mitarbeiter beim Inklusionsamt im Dezernat 5 "Schulen, Inklusionsamt und Soziale Entschädigung" beschäftigt ist.

Behinderung und Beeinträchtigung des Mitarbeiters:

Der Mitarbeiter hat eine fortschreitende Netzhauterkrankung (Retinitis pigmentosa) und ist hochgradig seh- bzw. schwerbehindert. Durch das eingeengte Gesichtsfeld (sog. Tunnelblick), eine erhöhte Blendempfindlichkeit sowie Störungen des Kontrastsehens ist seine optische Wahrnehmung eingeschränkt. In den letzten Jahren hat sich das Sehvermögen des Mannes weiter verschlechtert.

Ausbildung und Beruf:

Der Mann absolvierte eine Ausbildung im Bereich Metalltechnik und war anschließend einige Jahre bei einem Maschinenbau-Unternehmen tätig. Während der letzten Zeit beim Unternehmen kam es häufig vor, dass er über Gegenstände stolperte, die er nicht erkannte. Da er im Unternehmen nicht mehr weiter beschäftigt werden konnte und arbeitslos wurde, nahm er Kontakt zur Agentur für Arbeit auf. Die Agentur für Arbeit vermittelte ihn zu einer Berufsfindungsmaßnahme in ein Berufsförderungswerk (BFW). Dort lernte er verschiedene Berufsfelder kennen und wurde parallel erstmalig über Hilfsmittel (Großbildschirme, Vergrößerungssoftware usw.) informiert, die ihn bei der Arbeit und im Alltag unterstützen können. Zu dieser Zeit genügte sein Sehvermögen jedoch noch aus, um weitestgehend ohne Hilfsmittel arbeiten zu können. Im Verlaufe der Berufsfindung stellte sich heraus, dass die Arbeit an einem Büroarbeitsplatz für den Mann geeignet ist und seinen Neigungen entspricht. So begann er beim BFW zunächst eine spezielle Ausbildung zum Büropraktiker mit entsprechender Ausbildungsregelung für Menschen mit Behinderung. Er wechselte später, aufgrund seiner guten Leistungen, in eine übliche Ausbildung zum Bürokaufmann. Nachdem er die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte, nahm er an einem Bewerbungstraining des BFW teil und bewarb sich beim LVR für den Verwaltungsdienst. Der Mann wurde nach dem erfolgreichen Bewerbungsgespräch für die Registratur des Landschaftsverbandes eingestellt. Später begann er mit einem Angestelltenlehrgang – einer Weiterbildung, die nach erfolgreichem Bestehen einem Abschluss der Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten gleicht. Der Mitarbeiter ist seitdem als Sachbearbeiter für Zahlungsgeschäfte und Buchhaltung beim LVR tätig.
Da sich sein Sehvermögen weiter verschlechterte, besuchte er erneut ein BFW, um an einer Blindentechnischen Grundausbildung teilzunehmen. In dieser dreimonatigen Ausbildung erlernte er beispielsweise die Braille-Schrift und Blinden-Hilfsmittel kennen.

Arbeitsplatz und Arbeitsaufgabe:

Der Sachbearbeiter ist an einem Bildschirmarbeitsplatz mit ergonomischen Büromöbeln in der Verwaltung tätig. Sein Arbeitsplatz ist behinderungsbedingt ausgestattet mit (Bild 1):
  • einem Bildschirmlesegerät mit Kreuztisch und Großbildschirm
  • einem mobilen Zeichenlesegerät
  • einem PC mit Großbildschirm, Braillezeile und Großschriftkontrasttastatur
  • einer Vergrößerungssoftware
  • einem Screenreader
  • einem Headset
  • einer Stehleuchte mit indirektem Licht zur besseren und blendfreieren Ausleuchtung
  • Jalousien zur Blendungsvermeidung durch einfallendes Tageslicht
Der Sachbearbeiter erhält für seine Tätigkeit spezielle Vorlagen mit einer zugehörigen Akte, die von anderen Kolleginnen und Kollegen der Abteilung erarbeitet wurden. Diese Vorlagen sind mit Zahlungen verknüpft, welche in einem Programm in entsprechende Masken eingegeben werden müssen. Die Aufträge samt Akten erhält er, wie auch seine Kolleginnen und Kollegen, über den hausinternen Botendienst.
Mit Hilfe des Bildschirmlesegerätes kann er sich die in Papierformat vorliegenden Dokumente auf dem einen der beiden Großbildschirme vergrößert und kontrastreicher anzeigen lassen (Bild 2). Für die eigentlichen EDV-Arbeiten am PC wird eine Vergrößerungssoftware eingesetzt, durch welche die optischen Inhalte vergrößert und kontrastreicher auf dem anderen Großbildschirm anzeigt werden können. Zur Dateneingabe benutzt der Mann eine Großschriftkontrasttastatur, die er wie üblich über das Zehnfingersystem blind bedienen kann. Für den täglichen Schriftverkehr und um Fehler bei der Dateneingabe zu vermeiden, kann der Mitarbeiter seine Eingaben taktil oder akustisch kontrollieren. Dabei können die optischen Bildschirminhalte des PC mit Hilfe einer speziellen Software (Screenreader) über die Braillezeile taktil ausgegeben und mit den Fingern gelesen oder über ein Headset akustisch vorgelesen werden (Bild 3 und 4).
Da seine Arbeit einen hohen Anteil an Lesetätigkeiten beinhaltet, nutzt der Sachbearbeiter außerdem ein mobiles Zeichenlesegerät. In Verbindung mit den anderen Hilfsmitteln zur Informationsausgabe wird so ein Wechsel der Sinnes- bzw. Eingangskanäle ermöglicht und Ermüdung vorgebeugt. Das mobile Zeichenlesegerät steckt er seitlich an den Bügel seiner Brille. Es besteht aus einem kleinen Lesegerät mit spezieller Kamera im vorderen und mit Lautsprecher im hinteren Bereich. Über ein Kabel ist das kleine Lesegerät mit einem Minicomputer mit Akku verbunden, der z. B. in eine Kleidungstasche gesteckt werden kann. Der Mitarbeiter ist mit dem mobilen Zeichenlesegerät in der Lage sich Texte vorlesen zu lassen. Dafür zeigt er beim Tragen des mobilen Zeichenlesegerätes u. a. mit dem Finger auf den vorzulesenden Text. Der Text wird dann in Sprache umgewandelt und über den Lautsprecher ausgegeben. So kann der Sachbearbeiter beispielsweise schnell eine zu bearbeitende Akte heraussuchen (Bild 5) – ohne die schwenkbare und unhandlichere Kamera des Bildschirmlesegerätes nutzen zu müssen – oder sich Briefe vorlesen lassen (Bild 6). Das mobile Zeichenlesegerät verfügt außerdem über die Option Gesichter zu erkennen und den entsprechenden Namen der Person anzusagen. Dafür müssen die Bilder der Personen mit Namen im Minicomputer gespeichert werden. Betritt eine gespeicherte Person das Büro oder begegnet dem Mitarbeiter auf dem Flur, wird der entsprechende Name genannt. Diese Option funktioniert nur, wenn die Kamera dabei das Gesicht gut erfassen kann.

Kommentar des Mitarbeiters zum Arbeitsplatz:

Für den Mitarbeiter stellt das mobile Zeichenlesegerät – als Kombination aus eigener Brille mit Lesegerät – eine Ergänzung zu den anderen eingesetzten Hilfsmitteln dar. Er kann mit dem mobilen Zeichenlesegerät effektiv arbeiten und es universell einsetzen. Laut eigener Aussage eignet sich das System jedoch noch nicht zur längeren Nutzung über einen ganzen Arbeitstag. Problematisch sei vor allem die fehlende Kontrollinstanz. Während beim Lesen eines Textes durch eine Person eine unverständliche Passage einfach erneut gelesen werden kann, besteht beim mobilen Zeichenlesegerät noch nicht die Möglichkeit einen vorgelesenen Text wiederholen zu lassen. Daher wird ein hohes Maß an Konzentration benötigt, um alle wichtigen Informationen aus der Textausgabe herauszufiltern und diese auch zu behalten.

Arbeitsorganisation:

Bei einem Meeting oder einer Schulung erhält der Sachbearbeiter die entsprechenden Unterlagen vor dem Termin zur Ansicht. So kann er sich bereits an seinem Arbeitsplatz mit den Hilfsmitteln und Unterlagen vorbereiten und diese auf ein Tablet speichern. Während der Veranstaltung kann er sich dann die Inhalte parallel gezoomt auf dem Tablet anzeigen lassen. Bei Bedarf besteht auch die Möglichkeit das Bildschirmlesegerät von seinem Arbeitsplatz mitzunehmen, um beispielsweise Texte von Tafeln mit Hilfe der schwenkbaren Kamera lesen zu können. Vor Ort muss in diesem Fall dann ein entsprechender Bildschirm vorhanden sein. Sollten zusätzlich Unterlagen in Papierformat im Meeting oder einer Schulung eingesetzt werden, die nicht vorher auf dem Tablet gespeichert wurden, so kann er auch das mobile Zeichenlesegerät einsetzen.

Arbeitsumgebung – Mobilität:

Auf dem Fußboden im Haus sind ein Leitsystem sowie Kontraststreifen an Türen bzw. deren Glasscheiben vorhanden. Der Mitarbeiter erreicht mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel und zu Fuß seinen Arbeitsplatz.

Eingesetzte Hilfsmittel – Anzeigen der Produkte:

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • ERGOS - Sehen
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Lesen
  • IMBA - Licht
  • IMBA - Sehen
  • IMBA - Sehen (Gesichtsfeld/Räumliches Sehen)
  • MELBA - Lesen

Referenznummer:

PB/111004


Informationsstand: 22.05.2024