Praxisbeispiel
Wiedereingliederung eines Projektleiters bei einer Stiftung

Wo lag die Herausforderung?

Der Mitarbeiter hat eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, die eine Tetraplegie auslöste. Die Lähmung von Beinen und Armen macht neben dem Stehen und Gehen auch fast alle alltäglichen Verrichtungen mit den Händen unmöglich. Es drohte deshalb die Erwerbsunfähigkeit.

Was wurde gemacht?

Nach einer zehnmonatigen Behandlung im Krankenhaus und in einer Reha-Klinik konnte das ehemalige Unternehmen dem Mitarbeiter eine neue Stelle anbieten, in welche er stufenweise wiedereingegliedert wurde. Die Fortbewegung erfolgt im Arbeitsalltag mit einem Rollstuhl und per Fahrdienst. Dabei ist auch eine Arbeitsassistenz u. a. bei der Fortbewegung behilflich. Wesentliche Teile der Arbeitszeit können im Home-Office absolviert werden, wobei im Büro und Home-Office das erforderliche Arbeiten in sitzender und liegender Haltung ermöglicht wurde. Zur Bedienung des Computers nutzt er dabei eine Spracherkennungssoftware sowie eine Kopfmaus. Die erforderlichen Telefonate können auch per Smartphone ausgeführt werden, wobei die Bedienung per Daumen erfolgt.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Unternehmen finanzierte den elektrisch höhenverstellbaren Arbeitstisch und die Liege. Auch die Spracherkennungs-Software in der Professional-Version wurde vom Unternehmen finanziert. Die Kopfmaus mit Infraroterkennung der Kopfbewegung wurde von der gesetzlichen Krankenversicherung als Hilfsmittel gefördert, das eigentlich im privaten Bereich die Teilhabe an der Gesellschaft durch Ausgleich der Behinderung ermöglichen soll. Das Inklusionsamt trägt die Kosten für die Arbeitsassistenz, welche nach zweimonatigem Antragsverfahren gewährt wurde. Die Rekrutierung und Abrechnung der Arbeitsassistenz übernimmt der Arbeitnehmer selbst. Die Rentenversicherung fördert nach dreimonatigem Antragsverfahren den Fahrdienst einkommensabhängig zu 85 Prozent.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter und der Rentenversicherung.

Unternehmen:

Das Unternehmen ist eine international tätige Stiftung mit dem Ziel der politischen Bildung, Förderung Studierender und internationalen Zusammenarbeit mit rund 600 Beschäftigten.

Behinderung und Beeinträchtigung des Mitarbeiters:

Der Mitarbeiter ist am Guillain Barré Syndrom (GBS) erkrankt bzw. einer entzündlichen Erkrankung des peripheren Nervensystems. In Folge der Erkrankung trat eine Tetraplegie mit Lähmungserscheinungen der Beine und Arme auf. Aufgrund dieser ist der Mitarbeiter zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen und seine Arm- sowie Handfunktion ist für fast sämtliche alltägliche Verrichtungen nicht ausreichend. Außerdem ist er körperlich geringer belastbar und benötigt zum Beispiel, nach einer gewissen Zeit in einer sitzenden Körperhaltung, eine Verlagerung in eine liegende Position.
Der GdB (Grad der Behinderung) beträgt 100. Auf lange Sicht können sich evtl. die durch GBS ausgelösten Lähmungserscheinungen zurückbilden und sich entsprechend auch der GdB verändern.

Medizinisch-berufliche Rehabilitation:

Auf die Erkrankung folgte ein zehnmonatiger Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt. Bereits während der letzten Monate des Reha-Aufenthalts arbeitete der Mitarbeiter nach Absprache mit Krankenkasse und Unternehmen wieder einige Stunden pro Woche. Auch suchte man gemeinsam nach einer geeigneten Stelle für die Zeit nach der Rehabilitation beim Unternehmen. Zwei Monate nach der Entlassung aus der Reha-Klinik trat er seine neue Stelle beim Unternehmen an, wobei zu Beginn eine dreimonatige stufenweise Wiedereingliederung nach dem „Hamburger Modell“ erfolgte. Gestartet wurde dabei mit vier Arbeitsstunden pro Tag. Diese wurden dann um eine Arbeitsstunde pro Tag nach jeweils zwei Wochen gesteigert, bis er danach wieder in Vollzeit tätig sein konnte.

Ausbildung und Beruf:

Der Mitarbeiter studierte Volkswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften in Deutschland und den USA. Im Rahmen eines Postgraduierten-Programms erfolgte die Spezialisierung in Richtung Entwicklungszusammenarbeit. Anschließend nahm er eine Tätigkeit bei seinem heutigen Unternehmen auf. Er war für dieses vor seiner Erkrankung in verschiedenen Auslandsbüros in Südostasien, Nordamerika und Afrika tätig und über mehrere Jahre Vorgesetzter eines Teams mit 30 Beschäftigten. Nach seiner Erkrankung arbeitet er als Manager bzw. als Leiter der strategischen Planung in der Abteilung internationale Entwicklungszusammenarbeit beim Unternehmen.

Arbeitsplatz und Arbeitsorganisation:

Als Leiter der strategischen Planung koordiniert er ein internationales Team, welches die Standardisierung der Versorgung der rund 100 Auslandsbüros des Unternehmens mit IT-Dienstleistungen gewährleistet. Neben der Beantragung öffentlicher Mittel zur Finanzierung des Projekts, stehen der Kontakt mit Zuwendungsgebenden sowie externen Dienstleistenden, die Rekrutierung sowie Führung des Teams als Hauptaufgaben fest.
Hierbei kommt ihm behinderungsbedingt die Arbeitsorganisation mit Videokonferenzen, Chats und digitalen Kollaborationsplattformen besonders entgegen, wobei dazu auch das Arbeiten an drei bis vier Tagen pro Woche im Home-Office zählt.
Bei der Arbeit wechseln sich Phasen in sitzender Haltung im Rollstuhl am Schreibtisch und Phasen der liegenden Arbeit ab. Der Manager nutzt einen Rollstuhl mit einem speziellen Sitzkissen, mit dessen Unterstützung er bis zu sechs Stunden sitzen kann.
Im Büro am Bildschirmarbeitsplatz befindet sich ein höhenverstellbarer und mit dem Rollstuhl unterfahrbarer Arbeitstisch. Im Home-Office steht ein ebenfalls unterfahrbarer bzw. in der Höhe fest angepasster Bürotisch zur Verfügung. Für die benötigten liegenden Arbeitsphasen befindet sich im Büro eine Liege, welche von einem Schreiner auf die Sitzhöhe des Rollstuhls zum besseren Umsetzen angepasst wurde. Im Home-Office nutzt er das Bett für die liegenden Arbeitsphasen.
Das wichtigste Arbeitsmittel für die Büroarbeit ist ein handelsüblicher Laptop, der für die Phasen in sitzender oder liegender Haltung genutzt wird. Als Ersatz für Maus und Tastatur wird eine spezielle Spracherkennungs-Software zur Bedienung genutzt. Mit der Software lassen sich sowohl viele Steuerungsfunktionen des Laptops ausführen als auch Texte fast fehlerfrei diktieren und korrigieren. Auch die Maus lässt sich durch Sprachbefehle bedienen, dies ist aber im beruflichen Alltag für den Mitarbeiter nicht ausreichend praktikabel. Er nutzt deshalb eine Kopfmaus, mit der er über Kopfbewegung und Webcam des Notebooks den Mauszeiger steuert. Bei schlechten Lichtverhältnissen funktioniert die Erkennung der Kopfbewegungen allerdings nicht so gut und insbesondere im Liegen wird der Kopf nicht richtig erkannt.
Für solche Situationen nutzt der Manager eine andere Kopfmaus, welche Infrarotstrahlung aussendet, die an einem Reflektorpunkt auf der Brille reflektiert wird. So kann er auch bei schlechteren Lichtverhältnissen und in jeder Haltung per Kopfbewegung die Maus steuern. Der eigentliche Mausklick wird über die Sprachsteuerung ausgelöst. Mit einer weiteren Software zur Eingabehilfe kann auch die Funktion Drag-and-Drop angewandt werden.
Ein handelsübliches Smartphone kann der Manager ebenfalls bedienen. Zu Beginn der Wiedereingliederung tat er dies mit Hilfe eines Stiftes, der durch die Verdickung mit einem Polster gut mit dem Mund geführt werden konnte. Inzwischen kann er auch mit seinem rechten Daumen den Touchscreen bedienen.
Da nicht alle Tätigkeiten allein ausgeführt werden können, steht ihm unterstützend eine Arbeitsassistenz mit bis zu 130 Stunden pro Monat zur Verfügung, was etwa drei Viertel seiner monatlichen Arbeitszeit beträgt. Bei Büroarbeitstagen und Außenterminen ist er ganztägig auf diese Unterstützung angewiesen. Die Arbeitsassistenz hilft beim Auskleiden und Ankleiden, dem An- und Ausschalten von Geräten, der Erstellung von Notizen bei Gesprächsterminen und dem Schieben des Rollstuhls. Auch beim Transfer in die Liegeposition und der Einrichtung des Computers für liegende Arbeitsphasen hilft die Arbeitsassistenz.

Arbeitsumgebung – Mobilität:

Das Büro des Managers befindet sich in einem relativ neuen Bürogebäude, welches von Beginn an barrierefrei gestaltet wurde. Die Fortbewegung mit dem Rollstuhl funktioniert auf ebenen Hartböden wie Parkett und Fliesen. Auf Teppichböden und im Außenbereich muss eine andere Person den Rollstuhl schieben. Deshalb wurde bereits auch ein Elektrorollstuhl beantragt, der dann via Joystick oder Tetragabel gesteuert wird.
Für den Arbeitsweg steht ein Fahrdienst zur Verfügung. Insbesondere im ersten Jahr nach Wiederaufnahme der Tätigkeit gestaltete sich der Transfer schwierig, da der Manager im dritten Stock eines Altbaus wohnte. Daher waren zwei Personen nötig, um ihn zum Fahrzeug hinabzubefördern.

Kommentar des Mitarbeiters:

Während meines Reha-Aufenthalts wurde mir signalisiert, dass es bei meinem Krankheitsverlauf wohl auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente hinauslaufen würde. Gleichwohl stand für mich immer fest, dass ich alles versuchen würde, um wieder in meinem beruflichen Alltag zurückzufinden. Ohne die sehr positiven Signale meines Unternehmens, die von Beginn an diesbezüglich ausgesendet wurden und die großartige Unterstützung meiner Familie, wäre dies nicht möglich gewesen. Da ich berufsbedingt keine Angst vor bürokratischen Prozessen und Formularen habe, ist es mir gelungen, die teils sehr umfangreichen Anträge für die Unterstützungsleistungen erfolgreich zu bewältigen. Wer diese Sozialisation nicht mitbringt, dem empfehle ich, für die berufliche Wiedereingliederung externe Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Eingesetzte Hilfsmittel – Anzeigen der Produkte:

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Gehen
  • EFL - Handkoordination (rechts/links)
  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • EFL - Sitzen (längeres/vorgeneigt/Rotation)
  • ELA - Feinmotorik
  • ELA - Gehen
  • ELA - Handgreifkraft
  • ELA - Reichen
  • ELA - Sitzen
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - Dreipunktgriff
  • ERGOS - Fingergeschicklichkeit
  • ERGOS - Handgeschicklichkeit
  • ERGOS - Handgreifkraft
  • ERGOS - Laufen (Gehen)
  • ERGOS - Reichen
  • ERGOS - Schlüsselgreifkraft
  • ERGOS - Sitzen
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Armbewegungen
  • IMBA - Feinmotorik (Hand- und Fingergeschicklichkeit)
  • IMBA - Gehen/Steigen
  • IMBA - Hand-/Fingerbewegungen
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)
  • IMBA - Sitzen
  • MELBA - Feinmotorik

Referenznummer:

PB/111059


Informationsstand: 07.08.2023