Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement für einen Pharmareferenten

Wo lag die Herausforderung?

Der Pharmareferent hatte einen Schlaganfall, der besonders zu Einschränkungen seiner rechten Körperhälfte führte. Er war deshalb längere Zeit krankgeschrieben und absolvierte in dieser Zeit auch eine medizinische Reha. Bedingt durch die Erkrankung sah es so aus, dass er seine Vertriebstätigkeit mit Besuchen bei der Kundschaft nicht mehr weiter ausüben konnte, da er kein Auto mehr fahren konnte.

Was wurde gemacht?

Das Unternehmen leitete wegen der Ausfallzeiten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ein, dem der Pharmareferent zustimmte. Als Maßnahme wurde im Rahmen des BEM beschlossen, ihm eine Arbeitsassistenz zur Verfügung zu stellen, die ihn zum Arbeitsplatz und zur Kundschaft fährt. Außerdem erfolgte die Rückkehr in den Job schrittweise über eine stufenweise Wiedereingliederung.

Schlagworte und weitere Informationen

Die im Rahmen des BEM einbezogene externe Disability Managerin beriet und begleitete den BEM-Prozess. Die als Maßnahme eingesetzte Arbeitsassistenz bzw. Fahrassistenz wird vom Integrations- bzw. Inklusionsamt gefördert.
Während der stufenweisen Wiedereingliederung war der Pharmareferent weiter krankgeschrieben und erhielt in dieser Zeit Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter.

Mitarbeiter

Der 56-jähre Pharmareferent arbeitet seit 29 Jahren als Vertreter für Verbandsstoffe beim Unternehmen. Sein Einzugsgebiet ist groß. Er berät Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, meist auch in ländlichen Gebieten, über unterschiedliche Hygieneartikel, Wund- und Verbandsmaterial. Sein Spezialgebiet ist die Versorgung mit Material zur Vorbeugung und zur Behandlung von Dekubitus.
Der Pharmareferent verfügt über ein großes Fachwissen und ist bei der größeren Kundschaft sehr beliebt. Besonders bei hartnäckigen Hautveränderungen und Wundliegen kann er gute Vorschläge machen und weiß kompetenten Rat. Er ist bei seinen zu betreuenden Einrichtungen ein gern gesehener Gast.

Unternehmen

Der Chemiebetrieb beschäftigt 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Betrieb verfügt über eine Interessenvertretung (Schwerbehindertenvertretung) und hat das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) eingeführt.

Fallschilderung

Der Pharmareferent hat eine lange Krankenzeit von mehreren Monaten. Seine Einrichtungen werden zum Teil von seinen Kolleginnen und Kollegen mit übernommen. Diese berichten, dass der Pharmareferent von der Kundschaft sehr vermisst wird. Man fragt nach ihm, lobt seine Unterstützung und Kompetenz und wartet bis er endlich wieder kommt.
Der Pharmareferent wird zu einem BEM-Gespräch eingeladen, dem er zustimmt.

BEM-Gespräch

Am Gespräch nehmen der Betriebsrat und eine Fallmanagerin bzw. Disability Managerin teil.

Gesprächsverlauf:

Man sieht und merkt die Behinderung des Pharmareferenten. Seine rechte Körperseite ist eingeschränkt, die Sprache nicht flüssig und sein Gangbild verändert. Nachdem der Pharmareferent freundlich begrüßt, über das Verfahren und Vorgehen aufgeklärt worden ist, berichtet er, dass er einen Schlaganfall hatte, nach dem Krankenhaus zu einer Rehabilitation in eine Reha Fachklinik gekommen ist. „Dort hat man mich schnell wieder auf die Beine gebracht. Mein Antrieb ist die Arbeit.“
Der Pharmareferent wird nach seinen Einschränkungen gefragt. Er antwortet, dass er unter Gleichgewichtsstörungen leidet und deshalb kein Auto fahren darf. „Das macht mir große Sorge, denn ohne Auto kann ich nicht arbeiten.“
Es ist nachzuvollziehen, dass diese Einschränkung den Pharmareferenten sehr belastet. Er berichtet, dass er im Moment noch bei einem Logopäden und einer Ergotherapeutin in Therapie ist sowie ein Wahrnehmungstraining absolviert. Aber, wie es mit ihm weiter gehen soll, weiß er nicht.

Wünsche und Vorstellungen

Nach seinen Vorstellungen und Wünschen gefragt, antwortet er: „Möglichst schnell wieder zu meiner Arbeit zurückfinden.“ Seine Ansprechpersonen in seinen zu betreuenden Betrieben haben ihn während der Erkrankung kontaktiert, ihm gute Besserung gewünscht und ihm vermittelt, dass sie ihn bald erwarten. Das wünscht er sich auch. Der Pharmareferent liebt seine Arbeit. Sie ist ein wichtiger Teil seines Lebens.

Maßnahme

Der Pharmareferent wird gefragt, ob er sich etwas vorstellen kann, was ihm helfen würde, seine Arbeit wieder aufnehmen zu können. „Wenn wir in einer Großstadt wären, könnte ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren.“ Jetzt wusste die Fallmanagerin Rat: „Um die Teilhabe am Arbeitsleben abzusichern, gibt es die Möglichkeit eine Arbeitsassistenz zu bekommen.“ Das erstaunt den Pharmareferenten. Diese Möglichkeit nutzen zu können, erfreut ihn, was man ihm sofort ansieht. Es ist für ihn ein Hoffnungsschimmer.
Die Fallmanagerin erklärt, dass dies im Gesetz zur Teilhabe am Arbeitsleben verankert ist. Ob er denn eine Anerkennung als Schwerbehinderter habe?
Ja, er habe eine Schwerbehinderung von GdB 60 mit dem Merkzeichen G, berichtet der Pharmareferent. Er hat jedoch aus Angst, dass ihm dadurch Nachteile entstehen, die Schwerbehinderung bei der Personalstelle nicht gemeldet. „Nein, das ist nicht so“, klärt der Betriebsrat auf. „Durch die Schwerbehinderung gibt es keine Nachteile. Der Schwerbehinderte genießt sogar einen besonderen Schutz.“ Um die fünf Zusatzurlaubstage für schwerbehinderte Menschen nutzen zu können, soll der Pharmareferent seine Anerkennung als Schwerbehinderter der Personalstelle bekannt geben. Ohne Meldung kann das Unternehmen seine besondere Fürsorgepflicht für Menschen mit Schwerbehinderung nicht wahrnehmen. Der Pharmareferent soll zwei Kopien machen und eine davon in der Personalstelle abgeben, die andere Kopie ist für das Finanzamt, da er auch einen Steuerfreibetrag bekommt. Das hat der Pharmareferent nicht gewusst. Er freut sich über diese Informationen.
Nun will der Pharmareferent wissen, was er tun muss, um eine Arbeitsassistenz zu bekommen. Er soll zuerst zum Betriebsarzt gehen. Er soll dem Betriebsarzt eine Schweigepflichtentbindung geben, so dass dieser von seinem behandelnden Arzt über seine gesundheitliche Situation Auskunft bekommen kann. Der Betriebsarzt steht unter ärztlicher Schweigepflicht und darf nichts über seine Erkrankung an Dritte weitergeben. Entscheidend ist nur, ob der Pharmareferent seine bisherige Arbeit weiter machen kann, oder welche Hilfsmittel er benötigt, um wieder arbeiten zu können. Das ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Arbeitsassistenz; denn, wie es zum jetzigen Zeitpunkt aussieht, kann der Pharmareferent seine Arbeit machen, braucht aber um zur Arbeit zu kommen, einen Fahrer.
Er soll einen Termin mit dem Schwerbehindertenvertreter machen, der würde ihn bei dem Antrag unterstützen. Er soll dies bald veranlassen, denn dann könne er auch eher wieder anfangen zu arbeiten. „Lieber heute als morgen“, versichert der Pharmareferent.
Er ist sehr froh, dass er wieder eine Möglichkeit sieht, arbeiten zu können. Er fragt noch, wer die Fahrassistenz denn machen soll. „Herr Pharmareferent, sie sind dann der Arbeitgeber, wenn sie jemand wissen, der das machen kann, ist das gut“, sagt die Fallmanagerin. „Es muss aber ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis sein.“
Der Pharmareferent fragt nach, ob er sich bei Fragen melden kann. Ja, das könne er tun und es soll nochmals ein Gespräch stattfinden, um seinen Arbeitsbeginn abzusprechen. Sicherlich wird der Arbeitsbeginn mit einer stufenweise Wiedereingliederung beginnen. Erst soll er jedoch seine Therapien zu Ende machen. Betriebsrat und Fallmanagerin wünschen dem Pharmareferenten alles Gute.

Umsetzung der Maßnahme

Der Pharmareferent war bei der Schwerbehindertenvertretung, die ihm beim Antrag an das Integrations- bzw. Inklusionsamt für die Arbeitsassistenz zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben unterstützte. Wenn der Pharmareferent nicht schwerbehindert wäre, würde der Antrag auf Arbeitsassistenz bei der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 49 SGB IX als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt werden können. Der Betriebsarzt bescheinigte, dass er seine Arbeit als Vertreter ohne Einschränkungen verrichten kann, aber aufgrund der Behinderung kein Auto mehr fahren darf, deshalb auf eine Arbeitsassistenz angewiesen ist, um dadurch die Teilhabe am Arbeitsleben abzusichern.

Abschluss

Nach Beendigung der Therapien war die Sprache des Pharmareferenten deutlich verbessert, seine Bewegungen harmonischer. Er war stolz auf das Geleistete, was nicht immer einfach für ihn war, aber die Aussicht wieder arbeiten zu können, beflügelte ihn. Auch fand er eine Arbeitsassistenz. Ein arbeitsloser Nachbar war über die Möglichkeit ein Arbeitsverhältnis zu bekommen, erfreut. Die Wiedereingliederung wurde auf acht Wochen festgelegt (stufenweise Wiedereingliederung), damit war der Krankengeldanspruch ausgeschöpft.

Fazit

Dank der gesetzlichen Kenntnisse und der Unterstützung des BEM-Teams konnte der Arbeitsplatz erhalten werden. Ein langjähriger, erfahrener Mitarbeiter konnte mit seinen Erfahrungen im Betrieb bleiben. Mit Unterstützung der Fahrassistenz konnte er vollwertig seine Arbeit wieder leisten.

Zusatzinformation

Als Leistung zur Teilhabe von Menschen mit Schwerbehinderung am Arbeitsleben dient die Arbeitsassistenz zum einen dem Ziel, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu erlangen (vgl. § 49 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX). In diesem Fall richtet sich der Rechtsanspruch, zeitlich auf drei Jahre befristet, gegen den zuständigen Rehabilitationsträger. Die Arbeitsassistenz dient aber auch zur Sicherung bereits bestehender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Der Kostenträger ist in diesem Fall das Integrations- bzw. Inklusionsamt (vgl. SGB IX §185).

Quelle

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Gleichgewicht
  • EFL - Handkoordination (rechts/links)
  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • ELA - Balancieren
  • ELA - Feinmotorik
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - Fingergeschicklichkeit
  • ERGOS - Gleichgewicht halten
  • ERGOS - Handgeschicklichkeit
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Feinmotorik (Fußgeschicklichkeit)
  • IMBA - Feinmotorik (Hand- und Fingergeschicklichkeit)
  • IMBA - Gleichgewicht
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)
  • MELBA - Feinmotorik

Referenznummer:

Pb/110890


Informationsstand: 26.10.2022