Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement für eine Krankenschwester

Wo lag die Herausforderung?

Nach einem Stationswechsel der Krankenschwester in einen anderen Bereich des Krankenhauses wurde sie aufgrund von Problemen mit der Stationsleiterin und dem Kollegium psychisch krank und fiel lange Zeit krankheitsbedingt aus.

Was wurde gemacht?

Das Krankenhaus leitete wegen der Ausfallzeiten ein gesetzlich vorgeschriebenes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ein, dem die Krankenschwester zustimmte. Im Rahmen des BEM schaltete das Krankenhaus ein dienstleistendes Unternehmen für das BEM ein. Die Krankenschwester beginnt nach einer Reha eine stufenweise Wiedereingliederung, wovor sie zunächst Angst hat, sich allerdings gut in den Arbeitsalltag einfindet und nun auch Unterstützung von der Stationsleiterin und vom Kollegium erhält. Durch eine regelmäßige Betreuung und Begleitung durch den Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung und den Integrationsfachdienst, gelingt die Wiedereingliederung in den alten Job.

Schlagworte und weitere Informationen

Da die Krankenschwester die sog. Wartezeit erfüllt hatte, wurden die Kosten für die Reha von der Rentenversicherung übernommen.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefonnummern der Rentenversicherung und Integrationsfachdienste.

Unternehmen und Mitarbeiterin

Die Krankenschwester arbeitet 15 Jahre lang in Vollzeit in einem Krankenhausbetrieb. Dort ist das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) formal bekannt – wird jedoch nicht systematisch umgesetzt. Auch bei den Beschäftigten ist das Verfahren nicht oder kaum bekannt. Es gibt einen Betriebsrat und eine engagierte Schwerbehindertenvertretung (SBV). Die achtunddreißigjährige Krankenschwester genießt das uneingeschränkte Vertrauen der Ärztinnen und Ärzte, ihrer vorgesetzten Personen, dem Kollegium und der Patientinnen bzw. Patienten. Vor zwei Jahren bewirbt sie sich auf eine interne Stellenausschreibung, die dann auch aufgrund ihrer guten Beurteilung erfolgreich ist.

Schwieriger Anfang

Schon der Arbeitsbeginn gestaltet sich problematisch. Die Krankenschwester schildert rückblickend in einem Gespräch mit dem Betriebsrat, dass sie keinerlei Einweisung in ihr neues Arbeitsgebiet bekommen hatte. Sie musste sich allein zurechtfinden und fühlte sich sehr allein gelassen. Die Kolleginnen und Kollegen hatten – wie überall auf den Stationen – alle Hände voll zu tun. Sie zeigten sich ihr, der Neuen, gegenüber gleichgültig. Solch ein Verhalten kannte sie bis dahin nicht. Als sie mit der Stationsleiterin sprach, wurde ihr manches klarer. Die Leiterin gab zu, dass sie persönlich lieber eine andere Schwester in ihrem Team gesehen hätte. Sie legte darum der Krankenschwester ohne Umschweife nahe, sich auf eine andere Stelle zu bewerben. Das verstand sie überhaupt nicht, berichtet sie weiter. Sie war bisher eine allseits anerkannte und geschätzte Kollegin, ihre Arbeitsstelle auf der alten Station war neu besetzt und sie hatte sich auf ihren neuen Wirkungsbereich gefreut. Warum sollte sie nun gehen? Und wohin? Natürlich ging sie nicht.

Stattdessen ging sie voller Elan an die Arbeit und stellte all ihre praktischen, fachlichen und zwischenmenschlichen Erfahrungen in den Dienst des Kollegiums und der Patientinnen bzw. Patienten. Mit guter Arbeit wollte sie überzeugen. Ihre Anstrengungen waren vergeblich. Die Krankenschwester fühlte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit persönlich angegriffen. Kein noch so kleiner Fehler schien unbeobachtet und wurde in den Teambesprechungen erwähnt. Die Ablehnung der Stationsleitung übertrug sich immer stärker auch auf die vorher gleichgültigen Kolleginnen und Kollegen. Die Krankenschwester wurde psychisch krank.

Was danach passiert

Nach sechs Monaten Krankheit sucht die Krankenschwester den ersten Kontakt zum Betriebsrat und dieser begleitet sie zur betrieblichen Schwerbehindertenvertretung. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung arbeiten hier gut zusammen und ergänzen sich, auch wenn es – wie im vorliegenden Fall – nicht offensichtlich um eine schwerbehinderte Mitarbeiterin geht. Der Zustand der Krankenschwester ist erschreckend. Einst eine strahlende, selbstsichere Person, die wusste was sie konnte, hat sie nun den Glauben an sich selbst verloren. Sie hat kaum mehr soziale Kontakte und isoliert sich zunehmend. Dabei leidet sie unter extremen Schlafstörungen, kann sich nicht mehr konzentrieren und aller Lebensmut scheint verschwunden.

Antrag auf GdB und Gleichstellung

Weil eine Gesundung aus dieser Burnout-Spirale nicht in Sicht ist, hilft die Schwerbehindertenvertretung der Krankenschwester bei der Antragstellung auf Anerkennung einer Schwerbehinderung (nach § 178 SGB IX). Der Antrag ist erfolgreich. Sie bekommt einen GdB (Grad der Behinderung) von 30 zuerkannt. Daraufhin stellt sie, auf Anraten und mit der Unterstützung der Schwerbehindertenvertretung, einen Antrag auf Gleichstellung und auch diesem Antrag wird stattgegeben.

Reha-Maßnahmen

Nach einer Krankenzeit von zwölf Monaten wird eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt und für acht Wochen bewilligt. Danach legt sie der Schwerbehindertenvertretung eine Stellungnahme aus der Reha vor mit der Aussage, dass die Krankenschwester die Arbeit als Krankenschwester zwar weiter ausüben kann, allerdings nicht auf dem Arbeitsplatz mit den schwierigen personellen Bedingungen. Für die Krankenschwester ist klar, dass sie bald wieder in die Arbeit einsteigen will. Sie ist voller Mut und Selbstvertrauen. Zusammen mit der Schwerbehindertenvertreterin leitet sie ein Gespräch mit einer Vertreterin des Unternehmens ein – in diesem Fall der zuständigen Personalreferentin – um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ziel ist es, einen Stellentausch zu erreichen oder die Prüfung der Möglichkeit, eine andere Planstelle für die Krankenschwester zu bekommen. Das gelingt jedoch nicht. Zwar bringt man der Krankenschwester viel Verständnis entgegen, aber es gibt einfach keine freien Stellen, so versicherte man ihr.

Fachdienst für psychologische Beratung

Am Ende ist die Krankenschwester niedergeschlagen. Sie war so zuversichtlich aus der Reha gekommen und nun scheint eine Lösung wieder weit entfernt. Die Schwerbehindertenvertretung macht der Krankenschwester Mut und gibt ihr einen Hinweis für eine stützende Begleitung: Einen Flyer vom Fachdienst für psychosoziale Beratung (Integrationsfachdienst IFD). Sie ermuntert sie, diese Möglichkeit der Unterstützung wahrzunehmen. Die Krankenschwester nimmt tatsächlich umgehend Kontakt auf und bekommt bald einen Termin.

Wiedereingliederung

Inzwischen drängt der Hausarzt die Krankenschwester zu einer Wiedereingliederung in den Betrieb. Dies ist in dem Reha-Gutachten empfohlen und er hat den Eindruck, es geht ihr nun wieder gut. Weil keine andere Planstelle in Aussicht ist, soll die Krankenschwester auf ihrer alten Stelle eine Wiedereingliederung für einen Zeitraum von drei Monaten beginnen (stufenweise Wiedereingliederung). Begleitet werden soll dies innerbetrieblich von der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsarzt und extern vom Fachdienst. Es wird ein Gespräch mit den Kolleginnen, der Stationsleiterin und der Personalreferentin geführt, in dem deutlich wird, dass von allen Beteiligten ein fairer Umgang miteinander erwartet wird. Außerdem wird vom inzwischen eingeschalteten Betriebsarzt ein Plan über die zeitliche Abfolge der Wiedereingliederung erstellt. Darin wird festgelegt, was in welcher Zeit der Eingliederung gearbeitet werden soll und wie die Einarbeitung und Begleitung geregelt ist. Ein weiteres Treffen wird vereinbart.

Zwischen den Treffen lässt sich die Krankenschwester in regelmäßigen Gesprächen vom Fachdienst unterstützen. Dabei werden ihre Ängste vor dem Neuanfang abgebaut und ihr Selbstvertrauen wird systematisch gestärkt. Dennoch ist sie verunsichert und hat vor dem nächsten Treffen große Angst. Darum wird sie zum nächsten Gespräch von der Schwerbehindertenvertretung und vom Betriebsrat begleitet.

Ihre Befürchtungen erweisen sich als unbegründet. Die Stationsleitung ist wie umgewandelt. Sie ist sehr freundlich, hat Kaffee, Tee und Wasser bereitgestellt und hat den Tisch nett hergerichtet. Damit ist die Atmosphäre von vornherein aufgelockert und nimmt der Krankenschwester einen großen Teil der Beklemmung. Auch die Leiterin ist gelöst und berichtet von ihrer Überraschung, dass die Zusammenarbeit mit dem Team in dem die Krankenschwester arbeitet, gut klappt. Die Krankenschwester bekommt bis zum Ende der Wiedereingliederung Krankengeld und das zusätzliche Budget (das eigentliche Gehalt der Krankenschwester) wird für die Vertretung genutzt. Das entspannt die Arbeitssituation auf der Station für alle Beteiligten erheblich. Zum Abschluss des Gespräches wird der nächste Termin zum Ende der Wiedereingliederung vereinbart. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass bei auftretenden Problemen, jederzeit einen früheren Termin verabredet werden kann. Alle gehen zufrieden auseinander.

Anerkennung und Gesprächsprotokoll

Die Zeit bis zum nächsten Gesprächstermin zur Wiedereingliederung vergeht schnell. Nun soll sich endgültig herausstellen, wie es mit der Krankenschwester weiter gehen sollte. Etwas mulmig und unruhig ist es die Krankenschwester kurz vor dem Gespräch schon. Aber erneut sind die Begrüßung und die Atmosphäre sehr einladend und die Anspannung schwindet schnell. Die Krankenschwester, so berichtet die Stationsleitung, hat Spezialkenntnisse, die sonst keiner auf der Station hat. Damit ergänzt sie das Team ausgezeichnet. Man sieht der Krankenschwester an, wie sehr sie diese Anerkennung freut und sie ist ein bisschen verlegen. Sie fühlt sich wohl und möchte nun auf keiner anderen Station und in keinem anderen Team arbeiten. Die Krankenschwester lässt dann noch ihren Willen zur weiteren Qualifizierung durchblicken und fragt ihre Vorgesetzte, die Stationsleitung, ob sie das befürworten kann. Diese überlegt kurz und stimmte dann unter der Bedingung zu, dass sich eine Qualifizierung nicht negativ auf den Arbeitsablauf auf der Station auswirkt, dass es dann also einer besonders guten Planung bedarf.

So wie alle Gespräche zum Wiedereingliederungsmanagement, wird auch dieses protokolliert. Damit können sich die Beteiligten im Zweifel auf die festgehaltenen Ergebnisse berufen. Zum Abschluss bekommen die Schwerbehindertenvertretung und die Mitarbeiterin vom Fachdienst einen Blumenstrauß von der Krankenschwester. Auch die fachliche Begleitung verdient Wertschätzung und Anerkennung.

Bleibt zu berichten, dass die Krankenschwester inzwischen seit über vier Jahren ohne Krankenzeiten mit viel Freude ihre Arbeit verrichtet. Sie hat inzwischen eine Zusatzqualifizierung abgeschlossen, die ihre Einsatzfähigkeit noch erweitert. Den Integrationsfachdienst benötigt sie nun nicht mehr, aber es gibt ihr Sicherheit, dass sie sich bei Bedarf jederzeit erneut an ihn wenden kann.

Resümee

In dem beschriebenen Fall gab es im Unternehmen kein systematisches BEM. Das erschwerte der Krankenschwester den Kontakt zu einer Vertrauensperson im Betrieb, sei es aus der Geschäftsleitung, aus der Personalabteilung oder der Interessenvertretung. Positiv war, dass in diesem Fall die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung gut eingespielt war. Ob man den Fall als „Mobbing“ definiert oder als „schlechtes Arbeitsklima“, ist dabei nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiterin wusste an wen sie sich im Betrieb wenden konnte, und dass Maßnahmen zu Ihrer Unterstützung getroffen werden konnten.

Die Erkrankung der Krankenschwester war so gravierend, dass ihr ein GdB von 30 zuerkannt wurde. Das reichte allerdings nicht aus, um die offizielle Unterstützung der Schwerbehindertenvertretung zu aktivieren. Erst durch die Gleichstellung war die SBV rechtlich in der Lage, sich für die Betroffene einzusetzen und in ihrem Namen zu handeln. Durch die Gleichstellung wurde ebenfalls erreicht, dass eine Unterstützung durch den Integrationsfachdienst möglich wurde. Der Fachdienst konnte die Krankenschwester stabilisieren, machte ihre Stärken und Potenziale sichtbar und abrufbar. Das hatte direkte Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl, das langsam wieder stärker wurde. Ohne Hilfe hätte die Krankenschwester nicht den Weg gefunden und wäre – wie viele, die von Mobbing oder krank machender psychischer Belastung bedroht sind – aus dem sozialen und finanziellen Netz gefallen. Da gibt es schnell überhaupt keine Perspektive mehr. In diesem Fall konnte die Krankenschwester – nach langer Zeit – durch die begleitende Hilfe im Arbeitsleben den beruflichen Anschluss wiederfinden.

Quelle

Dies ist ein Praxisbeispiel vom Institut für Personalentwicklung und Coaching (ipeco) aus dem Buch: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement – herausgegeben vom W. Bertelsman Verlag (wbv).

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Referenznummer:

Pb/110867


Informationsstand: 25.08.2022