Praxisbeispiel
Softwareentwicklerin bei SAP im Rahmen des Projektes 'Autism at work'

Wo lag die Herausforderung?

Die Softwareentwicklerin hat das Asperger-Syndrom. Übliche soziale Regeln werden deshalb nicht automatisch verstanden und beachtet. Außerdem werden sämtliche Informationen detailliert und gleichrangig wahrgenommen und kognitiv verarbeitet, so dass beispielsweise Geräusche sowie Bewegungen und Gespräche von Personen zu starken Störungen und Ablenkungen führen.

Was wurde gemacht?

  • Anpassung des Bewerbungsverfahrens und der Einarbeitung auf Personen mit Asperger-Syndrom
  • Versetzung an einen ruhigeren Arbeitsplatz in ein kleineres Büro
  • Zuteilung einer Person aus dem Arbeitsteam für fachspezifische und organisatorische Fragen
  • Mentor als Ansprechperson für berufliche und private Fragen, der nicht aus dem direkten Arbeitsumfeld stammt

Schlagworte und weitere Informationen

In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Integrationsfachdienst (IFD) konnte das Projektteam von 'Autism at Work' einen Arbeitsplatz für die Frau mit Asperger-Syndrom bei SAP finden. Die Leistungen des IFD und des Projektes wurden durch das Integrations- bzw. Inklusionsamt gefördert. Die Mitarbeiterin wird auch weiterhin bei Bedarf durch den IFD und das Projektteam im Arbeitsalltag begleitet.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefon-Nummern der Integrations- bzw. Inklusionsämter und von Integrationsfachdiensten.

Unternehmen:

SAP SE hat seinen Hauptsitz in Walldorf und ist einer der weltweit größten Softwarehersteller. Das Unternehmen stellt seiner Kundschaft IT-Lösungen für Unternehmenssoftware und Geschäftsanwendungen zur Verfügung. SAP beschäftigt ca. 95.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in über 140 Ländern. Seit 2013 stellt das Unternehmen im Rahmen des Programms 'Autism at Work' vermehrt Personen aus dem Autismus-Spektrum ein. Ziel ist es 650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Autismus durch das Programm 'Autism at Work' global zu beschäftigen.

Behinderung und Funktionseinschränkung der Mitarbeiterin:

Die Mitarbeiterin hat das Asperger-Syndrom, eine Störung aus dem Autismus-Spektrum (ASS). Dadurch ergeben sich Einschränkungen im Sozialverhalten und bei der Informationsaufnahme bzw. kognitiven Informationsverarbeitung. Irrelevante Informationen können nicht gefiltert werden, so dass sämtliche Informationen (Geräusche, Sprache, Signale usw.) gleichwertig parallel verarbeitet werden. Sie bevorzugt deshalb eher bestimmte Routinen und geregelte Abläufe unter ruhigen Arbeitsbedingungen. Ihr fällt es außerdem schwer mit Personen zu interagieren, da übliche soziale Regeln nicht automatisch verstanden und beachtet werden, so fällt es ihr beispielsweise schwer den Blickkontakt mit Personen während eines Gesprächs herzustellen und zu halten. Ihr Grad der Behinderung (GdB) beträgt 50 und sie gilt gesetzlich als schwerbehindert.

Ausbildung und Beruf:

Die Frau ist studierte Diplom-Ingenieurin für Vermessungswesen und Geoinformatik. In ihrem damaligen Beruf als Vermessungsingenieurin war sie viel im Außendienst tätig. Ihr Tagesablauf bedingte eine hohe Flexibilität, da die Tätigkeit beispielsweise an verschiedenen Arbeitsorten ausgeübt werden musste und Sie häufig Kontakt mit verschiedenen Personen hatte. Nach einiger Zeit beendete Sie das Arbeitsverhältnis, da die Tätigkeit behinderungsbedingt für Sie auf Dauer nicht geeignet war.
Sie entschied sich deshalb für den Beginn eines neuen Bachelor-Studiums mit der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen, um ihre starke Neigung zu Zahlen und zu Details in Strukturen zu vertiefen. Reizüberflutungen, wie sie in Schulklassen oder Ausbildungsbetrieben vorkommen können, sind in einem Studium leichter zu umgehen, da es häufig keine Anwesenheitspflicht für Lehrveranstaltungen gibt und Inhalte online Angeboten werden. Außerdem kann die Möglichkeit genutzt werden, außerhalb von seminarähnlichen Lehrveranstaltungen und Lerngruppen, Studieninhalte eigenständig mit Büchern und Vorlesungsskripten zu lernen und sich auf Prüfungen vorzubereiten.
Nach ihrem abgeschlossenen Zweitstudium erhielt die Wirtschaftsingenieurin zunächst einen Job bei einer Hausverwaltung. Dort arbeitete sie in der Buchhaltung, wo sie das erlernte Wissen des Wirtschaftsingenieurwesens in Zusammenhang mit ihrer sorgfältigen Arbeitsweise und Neigung zu Zahlen einsetzen konnte.
Neben den buchhalterischen Tätigkeiten wie Jahresabrechnungen, zählte zu ihrem Aufgabenfeld ebenso die Kommunikation mit Handwerksbetrieben. Das häufige Klingeln des Telefons empfand die Frau jedoch als störend, da sie dadurch in ihrem Arbeitsablauf häufig unterbrochen wurde. Die erhöhte Lärmempfindlichkeit und Sensibilität auf das laute Klingeln verstärkte das Problem.
Auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung stieß sie auf das Projekt 'Autism at Work' von SAP, das sich speziell an Menschen aus dem Autismus-Spektrum richtet. Dort bewarb sie sich erfolgreich mit ihren Bewerbungsunterlagen und wurde zu einem ersten Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Bewerbung richtete sich nicht auf eine konkret zu besetzende Stelle, sondern unmittelbar an das Projekt.
Vor dem ersten Vorstellungsgespräch erhalten die eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber vom Projektteam einen Ablaufplan zum Bewerbungsgespräch, um sich vorbereiten zu können und um möglichen Druck zu reduzieren. Ziel des ersten Gesprächs ist es die Persönlichkeit kennenzulernen und etwas über die speziellen Interessen herauszufinden. Geführt wird das Gespräch durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem 'Autism at Work'-Team und einer Mitarbeiterin des örtlichen Integrationsfachdienstes, die eng mit dem Projektteam zusammenarbeitet. Es handelt sich um erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die geschult im Umgang mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum sind. Gängige Ausschlusskriterien für Bewerbungsgespräche, wie das Vermeiden von Blickkontakt durch die Bewerberinnen oder Bewerber, spielen für das Bewerbungsverfahren demnach keine Rolle. Nachdem das erste Gespräch positiv verlief, suchte das Projektteam anhand der Interessen und Fähigkeiten passende Stellen bei SAP für die Bewerberin bzw. Wirtschaftsingenieurin. Innerhalb eines Bewerbungsportals konnte die Wirtschaftsingenieurin nun auswählen, auf welche passende Stelle sie sich konkret bewerben möchte. Das Projektteam setzte sich anschließend mit dem entsprechenden Manager der Abteilung in Verbindung und klärte ihn über die Besonderheiten der Bewerberin auf, bevor diese zu einem zweiten Gespräch eingeladen wurde. Das zweite Gespräch mit der Fachabteilung fand mit Beteiligung des 'Autism at Work'-Teams, als Konstante in den Gesprächen, statt. Auch hier konnte sich die Frau gegen die anderen Bewerberinnen und Bewerber durchsetzen und erhielt die Stelle im Entwicklungsbereich bei SAP.
Der Übergang zur Tätigkeit im Entwicklungsbereich wurde durch eine bedarfsorientierte Einarbeitungsphase gestaltet. Innerhalb des ersten halben Jahres erlernte sie die Softwaresprache ABAP und erhielt erste Einblicke in die Produkte des Unternehmens. Durch ihre Affinität zu Zahlen und Strukturen konnte sie sich die Programmiersprache mit Hilfe von firmeninternen Seminaren entsprechend schnell aneignen.

Arbeitsorganisation:

Um sowohl die neue Mitarbeiterin, als auch die anderen Kolleginnen und Kollegen mit der neuen Situation vertraut zu machen, fand zu Beginn ein Teamtraining statt. Am Training nahmen alle Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit der neuen Mitarbeiterin teil. Zusammen mit einem Mitarbeiter des 'Autism at Work'-Teams wurde über das Thema Autismus aufgeklärt und besondere Umgangsformen miteinander besprochen. Hierbei werden Felder wie Kommunikation, soziale Interaktion, Wahrnehmung und repetitives / stereotypes Verhalten im Team besprochen. Hierbei hatte auch die neue Mitarbeiterin die Möglichkeit speziell auf Ihre Besonderheiten einzugehen und das Team darüber aufzuklären. Da sie die Expertin in eigener Sache ist, ist es wichtig den Dialog zu ermöglichen. Außerdem wurde der Wirtschaftsingenieurin ein direkter Kontakt innerhalb ihres Arbeitsteams zugeteilt, an den sie sich in Bezug auf fachspezifische und organisatorische Fragen wenden kann. Für berufliche und private Fragen erhielt sie des Weiteren einen sogenannten Mentor, der eine weitere Ansprechperson für sie darstellt und nicht aus ihrem direkten Arbeitsumfeld stammt.

Arbeitsplatz und Arbeitsaufgabe:

Die Mitarbeiterin ist im Entwicklungsbereich an einem Bildschirmarbeitsplatz tätig. Sie erarbeitet beispielsweise Anforderungen an die Funktionalität neuer Software. Diese setzt die Mitarbeiterin später in die Programmiersprache ABAP um und führt diverse Entwicklungstests durch.
Sie arbeitete zunächst mit weiteren Personen in einem Viererbüro. Der Arbeitsalltag im Büro mit mehreren Personen erwies sich zunächst als schwierig und anstrengend für die Mitarbeiterin, da sie zunehmend durch Geräusche oder hereinkommende Kolleginnen und Kollegen gestört wurde. Um dies zu verringern arbeitete die Mitarbeiterin anschließend in einem Büro mit nur drei Arbeitsplätzen an einem Fensterplatz, der half die seitliche Geräuschbelastung durch Person zu reduzieren. Da jedoch weiterhin Durchgangsverkehr vor diesem Büro herrschte, wurde die Mitarbeiterin nach einiger Zeit in ein Dreierbüro am Ende des Flures versetzt, wo sie nicht mehr durch vorbeigehende Kolleginnen und Kollegen gestört werden konnte. Dort sitzt sie ebenfalls an einem Fensterplatz (vgl. Bild).

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Kontaktfähigkeit
  • IMBA - Kritikfähigkeit
  • IMBA - Kritisierbarkeit
  • IMBA - Misserfolgstoleranz
  • IMBA - Ordnungsbereitschaft
  • IMBA - Teamarbeit
  • MELBA - Kontaktfähigkeit
  • MELBA - Kritikfähigkeit
  • MELBA - Kritisierbarkeit
  • MELBA - Misserfolgstoleranz
  • MELBA - Ordnungsbereitschaft
  • MELBA - Teamarbeit

Referenznummer:

Pb/111019


Informationsstand: 24.06.2020