Praxisbeispiel
REHADAT-Wissen Diabetes – Interview "Jeder kann fast alles machen"

Kurzbeschreibung:

Ein Interview von REHADAT mit dem leitenden Betriebsarzt der Stadt Köln Dr. Kurt Rinnert im Rahmen von REHADAT-Wissen Ausgabe Diabetes.

Inhalte des Interviews sind die Themenbereiche:
  • Anzahl der Krankheitstage von Menschen mit Diabetes
  • Anzahl der Beschäftigten mit Diabetes bei der Stadt Köln
  • Befreiung von Menschen mit Diabetes von bestimmten Arbeitsbereichen
  • Die Häufigkeit von Hypoglykämien am Arbeitsplatz
  • Nicht ausführbare Arbeiten und Berufe für Menschen mit Diabetes
  • BEM-Verfahren bei Diabetes
Das gesamte Gespräch finden Sie unter dem Reiter bzw. Tabulator Interview.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Interview mit Herrn Kurt Rinnert führten Maisun Lange und Rieke Menne im Rahmen von REHADAT-Wissen Ausgabe Diabetes.

Zur Person:

Dr. Kurt Rinnert ist leitender Betriebsarzt bei der Stadt Köln. In seinen Aufgabenbereich fallen arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen der städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Beteiligung am Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) und Arbeitsplatzbegehungen. Er ist Mitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Thema Diabetes und Arbeit. Der Ausschuss Soziales der DDG erarbeitet die Berufsempfehlungen für Menschen mit Diabetes

REHADAT:

Haben Beschäftigte mit Diabetes mehr Krankheitstage als andere Beschäftigte?

Dr. Kurt Rinnert:

Diabetes wird zum Großteil im Alter von 50 bis 70 Jahren erstdiagnostiziert. Krankenkassendaten zeigen, dass die AU-Dauer von Beschäftigten mit Diabetes beim Vergleich innerhalb dieser Altersgruppe nicht relevant erhöht ausfällt. Das heißt, Diabetes spielt für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine nur sehr untergeordnete Rolle.

REHADAT:

Gibt es in Ihren Dienststellen viele Arbeitnehmer/innen mit Diabetes?

Dr. Kurt Rinnert:

Diabetes kann jeden treffen! Vermutlich gibt es über alle Dienststellen auf allen Positionen Menschen mit Diabetes. Und je höher die Position, desto weniger outen sich die Betroffenen.

REHADAT:

Kommt es vor, dass Arbeitnehmer/innen mit Diabetes innerhalb einer Dienststelle versetzt werden?

Dr. Kurt Rinnert:

Diabetesbedingte Tätigkeitswechsel sind sehr selten.

REHADAT:

Gibt es Arbeitsbereiche, von denen Menschen mit Diabetes grundsätzlich befreit sein sollten?

Dr. Kurt Rinnert:

Nur eine kleine Minderheit von Menschen mit Diabetes hat diabetesassoziierte Probleme am Arbeitsplatz oder im Beruf. Das höchste Risiko besteht für Menschen mit Diabetes mit schlechter Stoffwechseleinstellung oder einer ausgeprägten Hypoglykämie-Neigung oder -Wahrnehmungsstörung. Pauschal sollte eine Erkrankung aber weder zu einer Stigmatisierung noch zu einer Sonderbehandlung führen. Bei gut eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Diabetes gibt es zum Beispiel zumeist auch keinen Grund für Vorrechte, wie die Befreiung von Schichtdienst oder Mehrarbeit.

REHADAT:

Wie häufig sind Hypoglykämien am Arbeitsplatz -und haben Menschen mit Diabetes häufiger Arbeitsunfälle als andere?

Dr. Kurt Rinnert:

Es gibt nirgendwo evidenzbasierte Daten, die die These stützen, dass Menschen mit Diabetes häufiger verunfallen als andere. Der zugrunde liegende Denkfehler besteht darin, das Hypoglykämie-Risiko mit dem Unfallrisiko gleichzusetzen. Durch Krankenkassendaten kann dies nicht belegt werden. Arbeitnehmende, die häufige Hypoglykämien haben und deren Stoffwechsel sich schlecht einstellen lässt, gibt es selten. Sehr wenige Menschen mit Diabetes bereiten Probleme am Arbeitsplatz, prägen aber häufig das Image aller Menschen mit Diabetes.

REHADAT:

Kommt es vor, dass Beschäftigte mit Diabetes ihrer Arbeit gar nicht mehr nachgehen können?

Dr. Kurt Rinnert:

Während meiner Tätigkeit bei der Stadt Köln ist ein solcher Fall noch nie aufgetreten.

REHADAT:

Gibt es Berufe, die Menschen mit Diabetes nicht ausführen können oder von denen Sie abraten?

Dr. Kurt Rinnert:

Nochmals: keine Beurteilung darf pauschal, sondern muss individuell und tätigkeitsbezogen erfolgen. Es gibt eigentlich nur drei kritische Tätigkeiten, bei denen Menschen mit Diabetes im Falle einer Unterzuckerung sich selbst und andere Menschen gefährden könnten: Feuerwehrmann/-frau im Angriffstrupp, Kampfpilot/in und Berufstaucher/in. In diesen Berufen wird im Einsatz ein hoher Adrenalinspiegel erzeugt und es ist das Tragen einer Schutzkleidung, wie zum Beispiel Atemmasken, erforderlich. Im akuten Notfall einer Unterzuckerung können die Betroffenen dann nicht schnell genug reagieren, so dass eine starke Unterzuckerung bis hin zum Tod führen kann. In England werden seit 2012/2013 insulinpflichtige Menschen mit Diabetes unter bestimmten Auflagen sogar als Piloten und Pilotinnen für Verkehrsflugzeuge zugelassen, weil Kompensationsmöglichkeiten vorhanden sind. Das zeigt: jeder kann fast alles machen -eine gute Stoffwechsellage vorausgesetzt.

REHADAT:

Spielt das Thema „Diabetes am Arbeitsplatz“ bei Ihrer Tätigkeit überhaupt eine große Rolle?

Dr. Kurt Rinnert:

Mit Diabetes mellitus gibt es zumindest bei der Stadtverwaltung Köln so gut wie keine innerbetrieblichen Probleme. In den letzten Jahren gab es zum Beispiel eine Vielzahl an BEM-Verfahren, wovon keines einzig aufgrund einer Diabetes-Erkrankung angestoßen wurde. Das Thema spielt im Vergleich zu anderen Erkrankungen, wie zum Beispiel den psychischen Erkrankungen, so gut wie keine Rolle.

REHADAT:

Können Sie uns etwas zum Ausmaß der Folgeerkrankungen und ihrer Auswirkungen am Arbeitsplatz sagen?

Dr. Kurt Rinnert:

Generell ist es schwierig, das in Zahlen auszudrücken. Es gibt keine einheitlichen Register, die Zahlen über diabetesassoziierte Folgeerkrankungen festhalten. Tendenziell kann man vermutlich davon ausgehen, dass Akuterkrankungen wie Hypoglykämien zurückgegangen sind. Ebenso Folgeerkrankungen infolge einer verbesserten ärztlichen Versorgung.

REHADAT:

Was halten Sie grundsätzlich von Diabetesprävention im betrieblichen Setting?

Dr. Kurt Rinnert:

Präventionsangebote im betrieblichen Setting können sinnvoll sein, wenn sie auf Nachhaltigkeit angelegt sind, aber weniger, wenn sie lediglich eine schön aufgemachte PR-Maßnahme darstellen. Wenn zum Beispiel Blutzucker-Daten oder ein individuelles Risiko durch den Fragebogen „FindRisk“ ermittelt werden, ist es wichtig, von vornherein zu wissen, was im Anschluss an solche Erkenntnisse folgen soll. Ein positives Beispiel war zum Beispiel die BASF-Gesundheitsaktion „Süß bleiben ohne Zucker“. Wurden bei einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin eine Blutzuckererkrankung oder eine Vorstufe entdeckt, wurde er/sie anschließend durch die Werksärzte der BASF beraten und unterstützt. Besonders Menschen, die nicht gerne zum Arzt oder zur Ärztin gehen, können auf diese Weise erreicht werden.

Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • IMBA - Arbeitssicherheit
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)
  • IMBA - Unfallgefährdung

Referenznummer:

Pb/111079


Informationsstand: 22.03.2023

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