Praxisbeispiel
REHADAT-Wissen Mukoviszidose – Interview "Es gibt immer eine Alternative"

Kurzbeschreibung:

Ein Interview von REHADAT mit der an Mukoviszidose erkrankten Referentin der Hessischen Staatskanzlei und ehrenamtlichen Mitarbeiterin bei aktion luftsprung e.V., Lorena von Gordon, im Rahmen von REHADAT-Wissen Ausgabe Mukoviszidose.

Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
  • Angaben zur Person, Erkrankung und zum Beruf
  • Hintergründe der Berufswahl
  • Derzeitige berufliche Aufgabenschwerpunkte
  • Längerfristige Berufs- und Lebensziele
  • Körperliche und psychische Auswirkungen durch die Erkrankung
  • Start ins Berufsleben trotz Erkrankung
  • Homeoffice und Dienstreisen
  • Einschränkungen durch Corona in Bezug auf die Erkrankung
  • Empfehlungen und Ratschläge für Menschen mit Mukoviszidose
  • Empfehlungen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
Das gesamte Gespräch finden Sie unter dem Reiter bzw. Tabulator Interview.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Interview mit Frau Lorena von Gordon führte Patricia Traub für REHADAT-Wissen Ausgabe Mukoviszidose.

Zur Person:

Lorena von Gordon, 34 Jahre, ist Referentin im Bereich der Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung in der Hessischen Staatskanzlei. Ehrenamtlich ist sie für Junge Helden e. V. zum Thema Organspende sowie im Mentorenteam der aktion luftsprung e. V. tätig. In ihrer Freizeit macht sie gerne Pilates, fährt Ski und ist eine begeisterte Hobbyköchin.

REHADAT:

Wie kamen Sie zu Ihrer Berufswahl?

Lorena von Gordon:

Ich wollte eigentlich schon immer eine politische Richtung einschlagen und habe einen eher ungewöhnlichen Studienweg dafür gewählt. Nach dem Abitur absolvierte ich einen Doppel-Diplomstudiengang der Betriebswirtschaftslehre an der ESB Reutlingen und der Dublin City University, ein Auslandssemester an der Universitat de Barcelona sowie das Masterstudium European Economic Studies am College of Europe in Brügge. Durch mein Studium an einer Business School wusste ich dann relativ schnell, dass Jobs mit viel Reisetätigkeit, gegebenenfalls gekoppelt mit längeren Projektaufenthalten im Ausland, körperlich für mich nicht machbar sind und meine ursprüngliche Vorstellung, in den politischen beziehungsweise Verwaltungsbereich zu gehen, erschien mir attraktiver.

REHADAT:

Was sind Ihre derzeitigen beruflichen Aufgabenschwerpunkte?

Lorena von Gordon:

Im Digital-Bereich der hessischen Staatskanzlei koordiniere ich unter anderem Digitalisierungsprojekte, schreibe Förderrichtlinien, entwickle Programme und betreue operative Projekte. Da der Bereich erst 2019 gegründet wurde, bedeutet dies viel Aufbauarbeit. Es ist wie eine Art Verwaltungs-Start-up.

REHADAT:

Haben Sie ein längerfristiges Berufs- oder Lebensziel?

Lorena von Gordon:

Da ich viel Freude an meiner jetzigen Tätigkeit habe, würde ich mich auch in Zukunft im hessischen Landesdienst sehen und hoffe, mich in den dortigen Strukturen weiterzuentwickeln.

REHADAT:

Gibt es etwas, was Sie besonders gut können?

Lorena von Gordon:

Ich habe ein ausgeprägtes lösungsorientiertes Denken und bin sehr diszipliniert, sicherlich Eigenschaften, die durch meine Erkrankung geprägt wurden.

REHADAT:

Wie wirkt sich die Erkrankung körperlich und psychisch auf Sie aus?

Lorena von Gordon:

Ich bin seit 2015 lungentransplantiert und musste schon immer regelmäßig meine Medikamente einnehmen, Physiotherapie machen und zahlreiche Arzttermine im Monat absolvieren. Ich habe meine Physiotherapeutin bereits über 30 Jahre und meinen Arzt über 22 Jahre. Ich glaube, das ist bei mir ein Erfolgsmodell, weil sie mich so gut kennen. Ansonsten überlegt man bestimmte Lebensfragen, die für andere ganz selbstverständlich sind, sehr genau - beispielsweise die eigene Wohnsituation hinsichtlich der Barrierefreiheit oder das Thema Kinderkriegen.

REHADAT:

Wie kommen Sie damit klar?

Lorena von Gordon:

Ich glaube, dass der liebe Gott mich mit einer sehr großen Portion Resilienz versorgt hat.

REHADAT:

Welche Erfahrungen haben Sie bei Bewerbungsgesprächen gemacht?

Lorena von Gordon:

Spätestens im Vorstellungsgespräch sage ich immer, dass ich Mukoviszidose habe. In Bewerbungsschreiben verpacke ich es ein bisschen anders - dass ich seit Geburt eine Stoffwechselerkrankung habe, wodurch ich besonders diszipliniert bin und mich flexibel auf neue Umstände einstellen kann. Insgesamt habe ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

REHADAT:

Wie empfanden Sie Ihren Start ins Berufsleben?

Lorena von Gordon:

Durchwachsen. Der Berufseinstieg ist deutlich herausfordernder als der Wechsel eines Jobs, in dem man sich bereits bewiesen hat. Ich habe mich anfangs sehr unter Druck gesetzt und wollte Leistung bringen, die vielleicht über das Normalmaß von gesunden Menschen hinausgeht. Ich bin sowieso eher ehrgeizig. Aber mittlerweile ist es für mich deutlich entspannter, da ich sehr offen mit der Erkrankung umgehe. Das dient auch dem Selbstschutz.

REHADAT:

Was hilft Ihnen im Berufsleben?

Lorena von Gordon:

Klare Verhältnisse schaffen, indem ich sage: ‘Passt auf, ich habe diese Grunderkrankung. Das ist nicht ansteckend oder gefährlich. Ich muss darüber nicht reden. Wenn ihr Fragen habt, können wir das aber gerne tun.’ Und damit ist das Thema in der Regel erledigt. Wenn die Kollegen nichts wissen, kann man ihnen auch nicht übelnehmen, wenn sie sich erkältet neben mich setzen oder es seltsam wirkt, wenn ich im Winter keinem die Hand schüttle oder wenn Gerüchte entstehen. Weil ich sehr viele Kalorien zu mir nehmen muss, wähle ich zum Mittagessen zum Beispiel die Cremesuppe, das volle Hauptgericht und den Latte Macchiato, obwohl ich sehr schlank bin. Mir ist es lieber, wenn ich dann sagen kann: ‘Ich habe einen anderen Stoffwechsel als ihr, ansonsten steckt nichts weiter dahinter.’ Irgendwann wird es auch lästig, bei jedem Husten zu erklären, dass man nicht erkältet ist. Und wenn der direkte Vorgesetzte mit dem Thema gut umgeht, dann ist alles andere, wie die Kommunikation im Team, leichter. Aber ich glaube, dass in vielen Betrieben die Unternehmenskultur noch nicht so weit entwickelt ist.

REHADAT:

Arbeiten Sie auch im Homeoffice?

Lorena von Gordon:

Außerhalb von Corona mache ich das ein- bis zweimal die Woche, was ein toller Mehrwert für mich ist. Im Homeoffice zu arbeiten, bedeutet für Beschäftigte mit Mukoviszidose eine enorme Entlastung.

REHADAT:

Machen Sie in Ihrem jetzigen Beruf Dienstreisen?

Lorena von Gordon:

Ich bin sehr viel in Hessen herumgekommen, und wenn es sich auf Deutschland beschränkt, kann ich das wunderbar umsetzen. Ich habe im Gegensatz zu meinen Kollegen eine eher freiere Wahl des Verkehrsmittels. Wenn beispielsweise Grippezeit ist, und ich mit meinem eigenen Auto fahren möchte, wird das problemlos genehmigt.

REHADAT:

Worauf müssen Sie sonst im Alltag und Beruf gesundheitlich achten?

Lorena von Gordon:

Im Prinzip mache ich schon lange, was die Bevölkerung erst durch Corona gelernt hat: Im öffentlichen Nahverkehr Maske tragen, Hände desinfizieren, Hände ordentlich waschen, in die Armbeuge husten. Spezielle Arbeitsmittel benötige ich nicht.

REHADAT:

Wurden die Hygienemaßnahmen in Ihrer Dienststelle wegen Corona verschärft?

Lorena von Gordon:

Ja, ich habe zum Beispiel ein Einzelbüro bekommen, um mich besser schützen zu können. Vorher saßen wir zu zweit. Deutlich verbreiteter sind jetzt auch Online-Konferenzen und Homeoffice.

REHADAT:

Gibt es betriebliche Akteure, mit denen Sie wegen Ihrer Erkrankung in Verbindung stehen?

Lorena von Gordon:

Ich persönlich stehe, außer mit der Personalabteilung und meinen Vorgesetzten, mit niemandem in aktiver Verbindung, würde aber jedem empfehlen, die Ansprechpersonen im Unternehmen zu kennen, also die Schwerbehindertenvertretung, den Personal- oder Betriebsrat oder die Gleichstellungsbeauftragte. Einfach, um mal den Austausch zu suchen und flexibel zu sein, falls es irgendwelche Fragen gibt.

REHADAT:

Was raten Sie jungen Menschen mit Mukoviszidose für den Berufsstart?

Lorena von Gordon:

Auf jeden Fall etwas machen, woran man Freude hat, was Energie gibt und dies weiter stärken. Man sollte sich aber auch aller Konsequenzen bewusst und nicht blauäugig sein sowie einen Plan B im Hinterkopf haben. Manchmal muss man erst ausprobieren, ob es geht oder nicht. Kollegen sollte man nicht als Gegner betrachten, sondern als Teil des beruflichen Umfelds. Sie müssen nicht gleich beste Freunde werden. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, wenn man offen und ehrlich mit der Erkrankung umgeht, kommt es häufig positiv zurück.

REHADAT:

Was empfehlen Sie Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen?

Lorena von Gordon:

Arbeitgeber denken nicht betriebswirtschaftlich, wenn sie meinen, ihnen ginge eine Arbeitskraft bei der Einstellung eines Menschen mit Behinderung verloren. Sie vergessen, dass es häufig sehr engagierte und loyale Mitarbeiter sind und so zum Beispiel kein kurzfristiges Neu-Recruiting nötig wäre. Viele Arbeitgeber müssten die Ausgleichsabgabe wahrscheinlich nicht zahlen, weil sie eigentlich genügend schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Die Betroffenen trauen sich häufig nur nicht, es offenzulegen und sind sehr damit beschäftigt, ihre Behinderung zu verbergen. Und das ist ein wahrer Ressourcenverlust. Viele Arbeitgeber haben Angst vor Ausfallzeiten oder dass sie etwas falsch machen. Da kann ich nur sagen - im Zweifel nachfragen, wie beziehungsweise ob man unterstützen kann. Die Betroffenen gehen schon ihr ganzes Leben mit der Erkrankung um, sie kennen sich aus.

REHADAT:

Was raten Sie darüber hinaus?

Lorena von Gordon:

Eltern sollten sich als Auffangnetz, nicht als beschützende Glasglocke sehen und ihren Kindern etwas zutrauen. Wenn man bedenkt, dass es mittlerweile die ersten Rentner mit Mukoviszidose gibt, dann ist es prima, wenn man früh selbstständig wird.

REHADAT:

Haben Sie ein spezielles Lebensmotto?

Lorena von Gordon:

Es gibt immer eine Alternative, auch wenn sie einem auf den ersten Blick vielleicht nicht gefällt.

REHADAT:

Vielen Dank für das Gespräch!

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  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
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Referenznummer:

Pb/111127


Informationsstand: 29.03.2023

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