Praxisbeispiel
REHADAT-Wissen Asthma bronchiale – Interview "Das Thema ist mit Scham behaftet"

Kurzbeschreibung:

Ein Interview von REHADAT im Rahmen von REHADAT-Wissen: Ausgabe Asthma bronchiale.

Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
  • Zeitpunkt der Diagnose der Erkrankung
  • Grad der Behinderung und Gleichstellung aufgrund der Erkrankung
  • Informierung des Arbeitgebers über die Erkrankung
  • Vorliegende Beschwerden durch das Asthma und Häufigkeit
  • Vorgehen bei Atemnot
  • Sonstige Beeinträchtigungen außer der Atemnot
  • Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit
  • Einfluss der Erkrankung auf die Berufswahl
  • Phasen längerer Ausfallzeiten
  • Unterstützung durch den Arbeitgeber
  • Homeoffice als Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit
  • Reaktion der Kolleginnen und Kollegen auf die Erkrankung
  • Einschätzung des Informationsstandes zur Erkrankung von Arbeitgebenden
  • Beschreibung der Corona-Zeit in Bezug auf die Erkrankung
  • Wünsche zum Umgang mit der Erkrankung bzw. den Betroffenen im Arbeitsleben

Schlagworte und weitere Informationen

Das Interview mit einem Projektreferent erfolgte im Rahmen von REHADAT-Wissen: Ausgabe Asthma bronchiale.

Zur Person:

Nachdem T., 32 Jahre, während des Studiums freiberuflich als Trainer im Bereich Menschenrechte und Bildung tätig war, arbeitet er heute als Projektreferent im öffentlichen Dienst.

REHADAT:

Wann wurde bei Ihnen Asthma bronchiale diagnostiziert?

Projektreferent:

Im ersten Lebensjahr. Damals wurde eine Kombination aus Neurodermitis und Asthma sowie zahlreichen Allergien festgestellt.

REHADAT:

Haben Sie aufgrund Ihrer Erkrankungen einen Grad der Behinderung?

Projektreferent:

Ja, ich habe derzeit einen GdB von 30 wegen bleibender motorischer Einschränkungen aus der Kombi Asthma-Neurodermitis. Als kleines Kind hatte ich einen GdB von 100, danach ist er peu à peu heruntergestuft worden.

REHADAT:

Sind Sie Menschen mit Schwerbehinderung gleichgestellt?

Projektreferent:

Nein, bei mir ist die Erkrankung seit 2019 gut eingestellt durch ein Medikament, das ich regelmäßig per Spritzen bekomme. Das wirkt gegen Neurodermitis. Und weil Neurodermitis und Asthma artenverwandt sind, ist alles viel besser geworden. Deshalb wäre es im Moment übertrieben, eine Gleichstellung aufgrund meiner Krankheit oder Einschränkung anzustreben.

REHADAT:

Weiß Ihr Arbeitgeber, dass Sie Asthma bronchiale haben?

Projektreferent:

Ja, ich habe das sowohl in der Personalabteilung als auch bei meinem Chef gemeldet. Einfach, weil es ab und an Nächte gibt, die katastrophal sind, dann brauche ich nicht zur Arbeit kommen.

REHADAT:

Welche Asthmabeschwerden haben Sie?

Projektreferent:

Ich bekomme keine Luft. Ich kann nicht immer genau sagen, woran es liegt, dass ich aufwache und nicht gut zurechtkomme. Bestimmte Jahreszeiten, ähnlich wie bei Pollenallergikern, sind schlimmer. Ich bin kurzatmig und nicht belastbar. Wenn ich viel Stress habe, ist das auch ein Problem. Eine Sache, die mich neben den Belastbarkeitsthemen am meisten beeinträchtigt, ist ein starker Tremor in der Hand in Phasen, in denen das Asthma schlimmer ist und ich zusätzliche Medikamente einnehmen muss. Dadurch kommen auch Ermüdungserscheinungen hinzu.

REHADAT:

Wie oft haben Sie Beschwerden?

Projektreferent:

Wenn ich mich im Frühling und Winter nicht ausreichend bewege, dann ist das Asthma alles andere als angenehm. Bei mir ist der Herbst, wenn es nicht zu viel regnet, immer die beste Jahreszeit. Ich habe alle Formen vom Asthma – chronisches, allergisches und Belastungsasthma. Daher kann es vorkommen, dass ich nicht gut Luft bekomme, ohne dass es einen erkennbaren Grund von außen gibt. Das heißt, ohne dass ich Sport treibe oder Pollen fliegen oder ich etwas esse, was ich nicht vertrage, kann es trotzdem vorkommen, dass ich nicht gut Luft bekomme. Allerdings muss ich differenzieren zwischen der Zeit vor den Spritzen und seither. In den letzten drei Jahren sind die Symptome einmal viel stärker geworden. Davor kam es bestimmt viermal im Jahr vor, dass ich für vier bis sechs Wochen mehrere stärkere Medikamente nehmen musste.

REHADAT:

Was machen Sie in Situationen, in denen Sie nicht gut Luft bekommen?

Projektreferent:

Man kann Atemtechniken anwenden. Es ist auch gut, wenn man eine Tür zu machen kann. Wie bei allen anderen Menschen, die Einschränkungen haben, hat man seine Coping-Mechanismen und Strategien. Es gibt auch bestimmte Körperhaltungen, die die Lunge entlasten, damit man atmen, sich an die Wand lehnen und alles etwas entspannen kann. Manchmal reicht das aus, aber in der Regel sind es vor allem Kortison-Sprays, die helfen. Generell trainiere ich mein Lungenvolumen mithilfe eines Hilfsmittels, bei dem man Kugeln mithilfe von Ein- und Ausatmen möglichst lange in der Luft hält. Ich habe auch schon häufiger Kuren besucht oder bei Teststudien zum Beispiel zur Desensibilisierung mitgemacht, was mir mit meinen Allergien sehr geholfen hat. Ich reagiere inzwischen nicht mehr auf Gräser, was eine enorme Erleichterung ist.

REHADAT:

Was bereitet Ihnen neben der Luftnot Schwierigkeiten?

Projektreferent:

Es gibt noch eine mentale Komponente. Ich weiß, dass die Medikamente meine Lebenserwartung statistisch gesehen verkürzen. Man nimmt sein ganzes Leben lang viel Kortison zu sich, was nicht dabei hilft, alt zu werden. Ich kenne Leute, die Angst wegen der Asthmaanfälle haben und befürchten, ihre Medikamente nicht schnell genug zu bekommen. So ging es mir früher auch, als ich in Bus oder Bahn bemerkt habe, dass ich meinen Sprayer nicht dabeihabe. In solchen Momenten wird man panisch und reagiert mit einem Asthmaanfall. Oder wenn man abends im Bett liegt und merkt, „diese Nacht werde ich nicht gut schlafen“. Auf der anderen Seite weiß man, dass es wieder weggeht und das schwächt die Angst davor. Aber richtig schwere Atemnot zu haben, ist sehr beklemmend.

REHADAT:

Was brauchen Sie, um effektiv arbeiten zu können?

Projektreferent:

Rein theoretisch bräuchte ich auf der Arbeit einen Raum, wo Allergene minimiert werden. Da wird Teppich oft zum Problem. Räume müssen extra gereinigt werden. Das sind allerdings Sachen, bei denen es unangenehm ist, nachzufragen. Insgesamt glaube ich jedoch, dass mein Asthma in meinem Beruf gut händelbar ist. Ich merke allerdings auch, dass ich auf Dienstreisen oder bei Veranstaltungen mehr Hilfsmittel brauche. Ich würde sagen, ich bin relativ fit, ich mache allerdings auch viel dafür. Ich mache viel Sport und versuche, aktiv gegen meine Erkrankung zu steuern.

REHADAT:

Hat Ihre Erkrankung Sie bei Ihrer Berufswahl beeinflusst?

Projektreferent:

Ich würde schon sagen, dass mein Asthma mich bei der Berufswahl beeinflusst hat. Sämtliche Berufe, die in irgendeiner Form Feinstaubbelastung haben, kamen nicht infrage. Eine Zeit lang fand ich es spannend, mit Holz zu arbeiten. Da wurde mir aber ziemlich schnell klar, dass ich das besser nicht machen sollte. Ich wollte auch sehr lange Koch werden, das war mit der Diagnose dann nicht möglich. Wenn du in einem Raum, in dem gebacken wird, Atemnot bekommst, solltest du wahrscheinlich besser nicht als Koch arbeiten. Zum Glück hatte ich noch andere Interessen und wusste früh, dass ich an die Uni gehen will.

REHADAT:

Gibt es etwas, was Ihnen bei der Arbeit schwerfällt?

Projektreferent:

Da ich Asthma schon seit Kindheitstagen habe, kann ich es sehr gut einschätzen und habe die Einstellung: „Wenn jetzt gerade etwas passiert, dann nehme ich Tabletten, damit es besser geht“. Die Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Kurzatmigkeit bereiten mir zum Teil Schwierigkeiten, wenn ich länger spreche. Ich brauche länger als andere, um mich von einer Tätigkeit zu erholen. Früher war es oft so, dass ich nach einem achtstündigen Coaching-Tag ein bis zwei Tage zum Regenerieren brauchte. Bei einer Freiberuflichkeit war das möglich, hauptberuflich solche Veranstaltungen durchzuführen, jedoch nicht.

REHADAT:

Gab es Phasen, in denen Sie länger ausgefallen sind?

Projektreferent:

Während meiner aktiven Berufstätigkeit nicht, aber während meiner Ausbildung. Innerhalb meines Bachelorstudiums gab es ungefähr ein Jahr, in dem ich immer wieder krankgeschrieben war. Um die Beantragung von einem Krankheitssemester habe ich mich allerdings nicht aktiv gekümmert. Es gab Zeiten, in denen hätte ich mich krankschreiben können, in denen ich trotzdem weitergearbeitet habe. Was auch sehr belastend war: Asthma und Neurodermitis geben sich schön die Hand. Ich hatte Phasen, in denen es mit der Neurodermitis schlimmer war, dann verlangte meine Lunge wieder mehr Aufmerksamkeit.

REHADAT:

Ihr Arbeitgeber weiß von Ihrer Asthma bronchiale-Erkrankung. Hat er Ihnen Unterstützung angeboten?

Projektreferent:

Nein, mein Arbeitgeber ist gerade in einem Findungsprozess und eine Schwerbehindertenvertretung wird erst gewählt. Man merkt mir meine Erkrankung nicht an. Neurodermitis sieht man, wenn sie schlimmer ist, aber das Asthma merkt man nicht.
Ehrlicherweise wird man auch ziemlich gut drin, es zu verbergen. Ich stelle mich nicht bei der Hauptversammlung auf die Bühne und benutze mein Spray, sondern mache das in einer ruhigen Ecke. Man muss fairerweise sagen, der Handlungsspielraum für meinen Arbeitgeber ist nicht besonders groß. Er hat das Büro, in dem ich arbeite, professionell von einer Firma tiefenreinigen lassen. Mehr kann man vermutlich nicht machen.

REHADAT:

Hilft es Ihnen, im Homeoffice zu arbeiten?

Projektreferent:

Ja, das ist in Müdigkeitsphasen eine gute Sache. Zu Hause kann ich mich für eine Dreiviertelstunde hinlegen. Mein Arbeitgeber ist, was mobiles Arbeiten angeht, sehr flexibel. Wenn ich Phasen habe, in denen es mir nicht gut geht, kann ich mehr Homeoffice machen. Ohne diese Möglichkeit würde ich mich vielleicht eher krankschreiben lassen, obwohl es eigentlich nicht sein muss, sondern ich einfach nur gestückelt arbeite.

REHADAT:

Wie gehen Ihre Kolleginnen und Kollegen mit Ihrer Asthma bronchiale-Erkrankung um?

Projektreferent:

Meine direkte Kollegin ist entspannt, sie hat selbst eine Behinderung. Wir geben sehr gut aufeinander acht, unterstützen uns. In meinem normalen Arbeitsalltag ist Asthma nichts, das viel Raum einnimmt. Wenn ich sage, wegen Asthma oder Neurodermitis geht etwas nicht, dann wird nicht diskutiert.

REHADAT:

Wie schätzen Sie den Informationsstand von Arbeitgebenden ein?

Projektreferent:

Gerade in Bezug auf Asthma und andere nicht sichtbare Erkrankungen ist es für andere schwer nachzuvollziehen, warum es bei einer Schreibtischtätigkeit manchmal einschränkend sein kann. Durch Stress können asthmatische Schübe ausgelöst werden. Wenn also der Leistungsdruck hoch ist, benutze ich mehr Medikamente, um die Asthma-Belastung zu reduzieren. Allerdings haben diese Mittel Nebenwirkungen und sollten nicht als Zaubermittel benutzt werden, zumal Kortison sich wie alle anderen Medikamente einfach abnutzt. Wenn ich es eine Zeit lang regelmäßig nehme, dann muss ich peu à peu mehr davon nehmen. Dass es eine Abwägungssache ist, wissen die meisten Arbeitgeber nicht.

REHADAT:

Wie war die Corona-Zeit für Sie?

Projektreferent:

Generell habe ich Angst vor Infekten. Ich wurde als Risikopatient eingestuft. Ich musste Corona ernster nehmen als andere in meinem Alter, weil eine Lungenentzündung oder eine Grippe zusätzlich zum Asthma im Krankenhaus hätte enden können.

REHADAT:

Gibt es etwas, was Sie sich für Menschen mit Asthma bronchiale oder generell für Menschen mit einer Behinderung im Arbeitsleben wünschen?

Projektreferent:

Ich fände es schön, wenn wir eine Kultur hätten, in der Asthma ein Thema wie viele andere ist. Das Thema ist mit Scham behaftet. Ich rede relativ offen darüber, aber ich würde mich trotzdem nicht mit meiner Darth-Vader-Maske [Anmerkung der Redaktion: Inhalationsmaske von Salzwasser-Lösung] ins Büro setzen. Dabei sind die Barrieren nur in unseren Köpfen. Manche gehen völlig offen damit um, andere fühlen sich angegriffen, wenn man sie danach fragt. Mehr darüber zu sprechen ist meine Empfehlung.

Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

  • EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
  • ERGOS - aktuelle tägliche Dauerleistungsfähigkeit (Last/Herzfrequenz)
  • IMBA - Arbeitszeit
  • IMBA - Gase/Dämpfe/Stäube
  • IMBA - physische Ausdauer (Last/Herz-Lungensystem)

Referenznummer:

PB/111286


Informationsstand: 02.10.2024

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