Praxisbeispiel
Kurzbeschreibung:
Ein Interview von REHADAT mit der von Long COVID betroffenen Ambulanz- und Studienärztin Maike Rist im Rahmen von REHADAT-Wissen Ausgabe Long COVID.
Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
Inhalte des Gesprächs sind die Themenbereiche:
- Zeitpunkt und Art der Bemerkbarmachung von Long COVID
- Auswirkungen auf die Arbeit
- Veränderungen im Alltag
- Wiedereingliederung an anderer Stelle im neuen Job
- Gesundheitsempfinden während der Wiedereingliederung
- Anpassung der Arbeitsbedingungen
- Fortbestehende Herausforderungen
- Besonders unterstützende Aspekte
- Ratschläge für Arbeitgebende und andere Betroffene
- Wünsche an die Zukunft
Schlagworte und weitere Informationen
Ein geführtes Interview von REHADAT mit Maike Rist für REHADAT-Wissen Ausgabe Long COVID.
Zur Person:
Frau Rist arbeitet als Ambulanz- und Studienärztin im Malteser Waldkrankenhaus in Erlangen. Nach einer SARS-CoV-Infektion in 2020 entwickelte sie Long COVID und verlor dadurch ihre Arbeit. Sie startete 2022 einen neuen Job mit einer stufenweisen Wiedereingliederung in einem neuen Team.
REHADAT:
Wann und wie hat sich Long COVID bei Ihnen bemerkbar gemacht?
Frau Rist:
Kurz nach einem sehr milden Akutverlauf bemerkte ich Atemnot bei Belastung, im Verlauf stellten selbst Treppenstufen zunehmend ein Problem dar. Das beeinträchtigte mich vor allem privat, bei Aktivitäten und beim Sport. Nach und nach kamen weitere Symptome wie Konzentrationsschwäche, Gedächtnisprobleme, Schlaflosigkeit, schwere Erschöpfung und Schmerzen hinzu und wurden immer stärker. Aufgrund der schleichenden Entwicklung und wechselnden Symptome konnte ich die Situation schwer einordnen – ich ignorierte sie oder fand andere Erklärungen, wie Stress.
Mit der Zeit wurde mir klar, dass irgendetwas überhaupt nicht stimmt. Schließlich konnte ich weder meine Arbeit noch einfachste Alltagsaufgaben bewältigen und erhielt nach entsprechender Abklärung die Diagnosen Lungenembolie, Myokarditis und ME/CFS mit weiteren postinfektiösen Komplikationen. Eine gar nicht so seltene Kombination, die sich hinter dem Begriff "Long COVID" verbirgt.
Mit der Zeit wurde mir klar, dass irgendetwas überhaupt nicht stimmt. Schließlich konnte ich weder meine Arbeit noch einfachste Alltagsaufgaben bewältigen und erhielt nach entsprechender Abklärung die Diagnosen Lungenembolie, Myokarditis und ME/CFS mit weiteren postinfektiösen Komplikationen. Eine gar nicht so seltene Kombination, die sich hinter dem Begriff "Long COVID" verbirgt.
REHADAT:
Wie hat sich Long COVID auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Frau Rist:
Ich hatte damals gerade einen neuen Job angefangen, auf den ich mich gefreut hatte und zunächst voll konzentrierte. Dort wollte ich "funktionieren" und ging darin sehr auf. Doch alles, was mir sonst leicht von der Hand ging, fiel mir zunehmend schwer, und für Dinge neben der Arbeit fehlte mir die Kraft. So ließ sich das eine ganze Zeit lang kompensieren, indem ich mein Privatleben zurückstellte. Irgendwann ging das nicht mehr auf. Vor allem die kognitiven Beeinträchtigungen und die Fatigue führten dazu, dass ich mir "Arbeitsunfähigkeit" eingestehen musste. Für meinen Arbeitgeber war die Situation aufgrund der wechselnden Symptomatik wohl schwer nachzuvollziehen, die Gespräche dazu verliefen frustrierend, und letztlich verlor ich diesen Job.
REHADAT:
Was hat sich dadurch verändert?
Frau Rist:
Alles. Ich war früher ein sehr aktiver Mensch, habe oft 80 Stunden in der Woche gearbeitet und viel Sport getrieben. Und auf einmal war ich nicht mehr leistungsfähig. Ich steckte gefühlt plötzlich im Körper einer alten Frau, und mein IQ schien sich halbiert zu haben. Die Veränderungen waren daher immens. Es ist so Vieles weggebrochen, was mir wichtig war und was einen irgendwie auch definiert. Das führte zu einer großen Unsicherheit, und ich musste mich ganz neu sortieren. Man muss sich und seinen Körper neu kennenlernen, neue Grenzen ausloten – und akzeptieren lernen. Dabei kann man nicht auf gewohnte Verhaltensweisen zurückgreifen. Ich habe sehr darunter gelitten, nicht arbeiten zu können und auf viel Hilfe angewiesen zu sein. Man fühlt sich unheimlich nutzlos.
REHADAT:
Wie ging es dann weiter?
Frau Rist:
Insbesondere aufgrund der kognitiven Probleme hatte ich Sorge, nie wieder als Ärztin arbeiten zu können. Zwei Wiedereingliederungsversuche beim alten Arbeitgeber scheiterten. Zum einen war es dafür zu früh, zum anderen gab es keinen guten Plan. Rückblickend hat diese Situation meinen Heilungsprozess zusätzlich erschwert und mich jedesmal wieder weit zurückgeworfen.
Mit viel Geduld und Disziplin habe ich schließlich gelernt, meine Grenzen zu verstehen, zu akzeptieren und im Alltag damit umzugehen. Dieses sogenannte Pacing war enorm wichtig für meinen weiteren Weg und die Rückkehr zur Arbeit. Pacing bedeutet dabei nicht einfach "mehr Achtsamkeit" – es ist eine vielschichtige Anpassung des Alltags an die neue Situation.
Mit viel Geduld und Disziplin habe ich schließlich gelernt, meine Grenzen zu verstehen, zu akzeptieren und im Alltag damit umzugehen. Dieses sogenannte Pacing war enorm wichtig für meinen weiteren Weg und die Rückkehr zur Arbeit. Pacing bedeutet dabei nicht einfach "mehr Achtsamkeit" – es ist eine vielschichtige Anpassung des Alltags an die neue Situation.
REHADAT:
Wie ist die Wiedereingliederung bei Ihrer neuen Stelle abgelaufen?
Frau Rist:
Ich habe mit zwei Stunden pro Woche angefangen. Das klingt lächerlich, war letztlich aber der Schlüssel zum Erfolg. Das Pensum wurde sehr langsam gesteigert, inklusive Homeoffice, flexibler Arbeitszeitgestaltung und regelmäßigen Anpassungen. Wir haben dabei zum Beispiel auch die Stunden zwischenzeitlich wieder reduziert, was bei der regulären stufenweisen Wiedereingliederung eher unüblich ist. Es gab also einen realistischen, echten Plan. Jede Woche ein bisschen mehr zu schaffen und so viel Unterstützung zu erfahren, von meinem Chef und auch von meiner Hausärztin, war unglaublich motivierend. Dafür bin ich heute sehr dankbar. Die Wiedereingliederung war erfolgreich, und inzwischen arbeite ich seit einem halben Jahr 20 Stunden in Teilzeit sehr stabil.
REHADAT:
Wie ging es Ihnen in der Zeit?
Frau Rist:
Am Anfang musste ich mich immer wieder mal krankmelden und lag an den freien Tagen immer flach, weil auch die wenigen Stunden Arbeit enorm belastend waren. Privatleben gab es während der Wiedereingliederung nicht, alle Kraft ging für die Arbeit und die Bewältigung von Alltagsaufgaben wie Haushalt, Einkauf etc. drauf. Dass die Wiedereingliederung bei einem neuen Arbeitgeber so individuell möglich war, dafür habe ich mich damals selbst stark gemacht und viele Gespräche auch mit dem Kostenträger geführt. Das erforderte zusätzlich viel Kraft, die ich gern anderweitig genutzt hätte. Die sukzessive Steigerung, die Tagesstruktur und die Erfolgserlebnisse bei der Arbeit haben letztlich auch dazu beigetragen, dass es mir zunehmend besser ging.
REHADAT:
Was wurde gemacht, um die Arbeitsbedingungen anzupassen?
Frau Rist:
Insgesamt gab es eine sehr flexible Arbeitsgestaltung. Ich konnte im Homeoffice, das heißt im Liegen und mit flexiblen Pausen, arbeiten. Eine große Erleichterung, auch weil die Fahrt zur Arbeit wegfiel. Nach und nach haben wir den Homeoffice-Anteil reduziert und ich arbeitete immer häufiger in der Klinik. Außerdem arbeitete ich nie mehr als zwei Tage hintereinander. Die freien Tage dazwischen waren meine Rettungsanker, an denen ich mich erholen und Symptomverschlechterungen abfangen konnte. Dann konnte ich auch Überlastungen rechtzeitig reflektieren und so Anpassungen in meinem Verhalten für die nächsten Arbeitstage vornehmen.
REHADAT:
Welche Herausforderungen erleben Sie heute durch Long COVID bei der Arbeit?
Frau Rist:
Heute kann ich meine Symptome und meine Arbeit vereinbaren, das war jedoch ein langer Lernprozess. Die Einschränkungen sind nicht mehr vergleichbar mit damals, aber ich muss meine Arbeitstage und vieles drumherum – vom Essen über ausreichend Schlaf bis zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme – noch immer gut planen. Ich mache auch weiterhin regelmäßig kurze Pausen, wenn meine Konzentration nachlässt und muss sehr strukturiert arbeiten.
REHADAT:
Was war oder ist für Sie besonders unterstützend?
Frau Rist:
Zunächst die Arbeit selbst. Meinen Beruf wieder ausüben zu können, hat mir viel Halt gegeben. Damit war Arbeiten ein wichtiger Teil meiner Genesung. Mein Chef war und ist auch eine große Unterstützung, da er viel Verständnis aufbringt, sich auf die Wiedereingliederung eingelassen und die individuellen Anpassungen ermöglicht hat. Die hohe Flexibilität und das tolle Team waren ebenfalls besonders hilfreich. In der Klinik herrscht insgesamt ein familiäres Arbeitsklima, und mir wird eine große Wertschätzung entgegengebracht.
REHADAT:
Was sollten Arbeitgebende wissen?
Frau Rist:
Mitarbeitende mit Long COVID und ihre Beschwerden sollten ernst genommen und nicht als Faulheit oder fehlender Arbeitswille interpretiert werden. Die Betroffenen haben in der Regel eine hohe Arbeitsmotivation, sind aber aufgrund der Symptome weniger leistungsfähig und ausgebremst. Viele Long COVID-Patient*innen in unserer Ambulanz äußern, sich von ihrem Umfeld nicht verstanden und ernst genommen zu fühlen.
Sehr hilfreich ist es also, zuzuhören und die Situation zunächst wohlwollend einzuschätzen. Arbeitgebende gehen zudem kaum ein Risiko ein. Während der stufenweisen Wiedereingliederung beispielsweise sind die Mitarbeitenden arbeitsunfähig, es wird kein Gehalt gezahlt, und es entstehen so keine Kosten für das Unternehmen. Die Wiedereingliederung bietet eine Chance für beide Seiten, Dinge auszuprobieren und den Weg zurück ins Arbeitsleben zu gestalten.
Sehr hilfreich ist es also, zuzuhören und die Situation zunächst wohlwollend einzuschätzen. Arbeitgebende gehen zudem kaum ein Risiko ein. Während der stufenweisen Wiedereingliederung beispielsweise sind die Mitarbeitenden arbeitsunfähig, es wird kein Gehalt gezahlt, und es entstehen so keine Kosten für das Unternehmen. Die Wiedereingliederung bietet eine Chance für beide Seiten, Dinge auszuprobieren und den Weg zurück ins Arbeitsleben zu gestalten.
REHADAT:
Was raten Sie anderen Betroffenen?
Frau Rist:
Die Rückkehr ins Arbeitsleben kann mühsam und mit Rückschlägen verbunden sein. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man sich jedoch, zum richtigen Zeitpunkt und mit einem guten Plan, mutig und optimistisch darauf einlassen. Ein paar Stunden pro Woche sollten das erste Ziel sein, ohne gleich die Vollzeitstelle anzuvisieren. Es hilft, Sicherheit und Kontrolle über die Situation wiederzuerlangen und neue Kräfte zu entwickeln, auch wenn es erstmal Kraft kostet. Das Erlernen von Pacing ist dabei essenziell, wenn auch eine echte Herausforderung.
REHADAT:
Wie kann man dabei konkret vorgehen?
Frau Rist:
Einerseits muss man sich an diese Grenzen heranwagen – anderseits muss man die Grenzen diszipliniert einhalten. Um Grenzen einzuhalten, muss man sie jedoch kennen und dafür muss man sie manchmal auch spüren. Nicht selten wächst man dann darüber hinaus. All das erfordert sehr viel Mut, Geduld und Disziplin. Dabei sollte man sich möglichst viel Unterstützung holen und zum Beispiel bestehende Dienste und Unterstützungsangebote (wie BEM, Integrationsdienste, Jobcoaching sowie psychologische Unterstützung zur Krankheitsbewältigung etc.) nutzen. Aber auch eine gute begleitende medikamentöse Therapie ist essenziell, und daran scheitert es leider gerade bei Long COVID häufig noch immer.
REHADAT:
Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?
Frau Rist:
Ich möchte wieder ein normales Berufsleben haben. Das Ziel ist eine Vollzeitstelle, mit nebenbei auch noch Raum für private Aktivitäten und Sport. Zunächst steht jedoch erstmal eine Dissertation an, die durch die letzten Jahre ebenfalls auf Eis gelegt werden musste.
Es liegen keine Informationen zur Förderung vor.
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Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung
- EFL - Schweregrad der Arbeit (Last/Herzfrequenz)
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Referenznummer:
Pb/111233
Informationsstand: 22.09.2023