Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement und Präventionsverfahren für eine leitende Sprachtherapeutin

Wo lag die Herausforderung?

Die Sprachtherapeutin war längere Zeit krank. Sie kann die Sprechstörungen der Kinder nicht richtig wahrnehmen und auch nicht problemlos telefonieren.

Was wurde gemacht?

Es wurde ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) von der Disability Managerin eingeleitet, dem die Sprachtherapeutin zustimmte. In Verlauf des BEM wurde ein Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gestellt und Hilfsmittel beantragt. Trotz der dann von ihr genutzten Hörgeräte, konnte sie die Sprechstörungen der Kinder nicht ausreichend wahrnehmen und somit ihren Beruf nicht mehr ausüben. Es wurde vom Unternehmen im Rahmen eines Präventionsverfahrens eine andere Beschäftigung angeboten, für die sie zunächst qualifiziert und verstärkt eingearbeitet wurde.

Schlagworte und weitere Informationen

Die Kosten für die Hörgeräte der Sprachtherapeutin wurden mit einem Festbetrag von der Krankenkasse übernommen. Da beruflich aber spezielle Hörgeräte mit mehreren Hörprogrammen und Filtern erforderlich waren, reichte dieser Betrag nicht aus. Die Mehrkosten für die Hörgeräte wurden deshalb, zur Ausübung der Tätigkeit und zum Erhalt des Arbeitsplatzes, von der Rentenversicherung getragen. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass auch die speziellen Hörgeräte nicht ausreichen, um weiter als Sprachtherapeutin zu arbeiten. Um das Beschäftigungsverhältnis zu erhalten, wurde ihr deshalb vom Unternehmen eine Tätigkeit in der psychologischen Beratung angeboten. Die Kosten zur Qualifizierung wurden von der Rentenversicherung übernommen und zusätzlich auch noch ein Eingliederungszuschuss an das Unternehmen gezahlt.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefonnummern der Rentenversicherung.

Unternehmen und Mitarbeiterin

Die leitende Sprachtherapeutin, 41, ist in einer Spracheinrichtung zuständig für die Beratung der Logopädinnen und Logopäden. Seit 17 Jahren arbeitet sie dort 20 Stunden in der Woche. Sie beurteilt die Sprachstörungen der Kinder und legt, gemeinsam mit der zuständigen Logopädin oder dem zuständigen Logopäden, einen Behandlungsplan fest. Es gibt einen Betriebsrat und die Geschäftsleitung hat eine externe Disability-Managerin (eine Fachfrau für die Unterstützung von erkrankten Beschäftigten, die Maßnahme- und Handlungspläne zusammen mit einem Integrationsteam erstellt und begleitet) engagiert, die regelmäßig und fallbezogen zu Gesprächen im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) hinzugezogen wird. Das BEM ist also eingeführt.

Einladung zum BEM-Informationsgespräch

Nach einer viermonatigen Erkrankung der leitenden Sprachtherapeutin, wird sie von der Disability-Managerin zu einem BEM-Informationsgespräch eingeladen. Dem stimmt sie gern zu und vereinbart gleich einen Termin mit ihr. Im Gespräch erzählt sie, dass sie einen Hörverlust erlitten hat und nun digitale Hörgeräte benötigt, die sehr viel Geld kosten werden. Dieses Geld hat sie nicht. Bei der Personalstelle hat sie bereits nachgefragt, ob ihr ein Vorschuss oder ein Darlehen gewährt werden kann. Das wurde abgelehnt.

Die Disability-Managerin kann weiterhelfen. Sie weiß, dass die Krankenkasse die Kosten für digitale Hörgeräte übernimmt, wenn man sie für die Arbeit benötigt. Die leitende Sprachtherapeutin kann einen Antrag für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stellen (nach § 49 SGB IX).

Die leitende Sprachtherapeutin freut sich dies zu hören, denn ohne ein entsprechendes Hörgerät kann sie ihre Arbeit nicht mehr verrichten. Die Disability-Managerin beschreibt ihr das Vorgehen zur Antragstellung.

Notwendige Unterlagen für die Beantragung eines Hörgerätes sind:
1. Ein Rezept für digitale Hörgeräte von der behandelnden ärztlichen Fachkraft
2. Von einer Hörgeräteakustikerin bzw. einem Hörgeräteakustiker ein Hördiagramm
3. Ein Kostenvoranschlag über die benötigten Arbeitshilfen
Achtung: Keine Verzichtserklärung unterschreiben (siehe Urteil des Bundessozialgerichtes BSG Aktenzeichen B 3 KR 20/08 R)! Seit diesem Urteil werden nun alle Anträge auf Hörgeräte bei der Krankenkasse gestellt.
4. Das Antragsformular G 130 vom zuständigen Rentenversicherungsträger ausfüllen
5. Eine Stellungnahme in der dargelegt wird, dass ohne die technische Hilfe der Arbeitsplatz in Gefahr ist und eine Kündigung droht.
6. Tipp: Die Stellungnahme sollte sachlich und für Dritte nachvollziehbar sein. Je besser das gelingt, desto größer ist die Aussicht auf Erfolg.

Weitere technische Hilfen am Arbeitsplatz

Nachdem dieses Vorgehen in dem Gespräch mit der Disability-Managerin geklärt ist, wird überlegt, was die leitende Sprachtherapeutin noch für ihre Arbeit benötigt. Wie steht es mit dem Telefon? Kann sie ausreichend gut telefonieren? Sie benötigt eine an Hörgeschädigte angepasste Telefonanlage, die mit der vorhandenen Anlage in der Einrichtung kompatibel ist. Die leitende Sprachtherapeutin ist auch viel unterwegs in anderen Einrichtungen. Ein mobiles Telefon für Menschen mit einer Hörbehinderung ist da notwendig. Außerdem stellt sie einen Antrag auf Schwerbehinderung.

Die technischen Hilfsmittel, Telefonanlage und mobiles Telefon für Menschen mit einer Hörbehinderung, werden in diesem Fall beim Rentenversicherungsträger beantragt. Innerhalb von sechs Wochen hat sie die Bewilligung der Kostenübernahme.

Antrag auf Gleichstellung

Ihrem Antrag auf Schwerbehinderung wurde mit einem GdB (Grad der Behinderung) von 30 entsprochen. Bei der Agentur für Arbeit wird nun ein Antrag auf Gleichstellung eingereicht. Auch dem wird zugestimmt. Damit gelten für die Sprachtherapeutin die Rechte wie für Menschen mit einer Schwerbehinderung (mit Ausnahme des erweiterten Urlaubsanspruchs um fünf Tage, und auch ein vorgezogener Rentenanspruch entfällt bei einer Gleichstellung). Die Aufgabe der Sprachtherapeutin ist es nun, sich erst einmal an die neuen Hilfsmittel zu gewöhnen.

Alles nicht ausreichend, um den Arbeitsplatz auszufüllen

Vier Monate sind vergangen, als die leitende Sprachtherapeutin erneut, über die Personalabteilung, um einen Termin mit der Disability-Managerin bittet. Eigentlich hatte diese mit einem Erfolgsbericht von der Sprachtherapeutin gerechnet, aber es kam anders. Sie ist mit den Nerven am Ende, erzählt sie. Das Hören im Alltag gelingt ihr einigermaßen, aber die Sprachstörungen der Kinder kann sie häufig nicht identifizieren. Sie kann ihre Arbeit dadurch nicht mehr verantwortungsvoll ausführen. Das hat sie auch schon dem Geschäftsführer gesagt. Der wiederum habe väterlich und gleichzeitig abgrenzend erwidert, sie sei ja studiert und tüchtig, da werde sie sicher eine andere Arbeit finden. Das empfindet die Sprachtherapeutin als Bedrohung für ihren Arbeitsplatz.

Eigene Ziele entwickeln und externe Unterstützung aktivieren

Welche Wünsche und Vorstellungen hat die leitende Sprachtherapeutin? Sie will vor allem aktiv bleiben und arbeiten. Die Disability-Managerin schlägt daraufhin ein Gespräch mit einer Vertretung des Integrations- beziehungsweise Inklusionsamtes vor. Der § 167 Abs. 1 SGB IX schreibt diese Möglichkeit fest und empfiehlt bei Problemen im Arbeitsleben möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und das Integrations- beziehungsweise Inklusionsamt einzuschalten.

Angebot eines neuen Arbeitsplatzes

Man einigt sich darauf, dass die Disability-Managerin einen Gesprächstermin mit der Sprachtherapeutin, dem Unternehmen und einer Vertretung vom Integrations- / Inklusionsamt vereinbart. Der Termin beginnt sehr dynamisch, denn das Unternehmen bietet der Sprachtherapeutin gleich einen neuen Arbeitsplatz an. In der Einrichtung geht demnächst eine beratende Psychologin in Rente, die, ebenso wie die Sprachtherapeutin, 20 Stunden pro Woche arbeitet, ob sie sich die Aufgaben, die mit einer psychologischen Beratung verbunden sind, zutraut? Die sieht da keine Probleme, sie kann ja alles hören und verstehen. Sie freut sich zunächst über die unerwartete Perspektive. Das Unternehmen will zügig eine Vorlage zur Stellenbesetzung beim Betriebsrat vorlegen und dann kann sie auch schon anfangen.

Zusatzqualifizierung ist notwendig

Später, das Gespräch ist einige Stunden her, bekommt die Sprachtherapeutin dann doch Zweifel. Ist sie diesem Aufgabengebiet gewachsen? Schließlich hat sie keine psychologische Qualifizierung, weder formal noch in ihren Erfahrungen. Diese Zweifel äußert sie dann in einem Gespräch mit der Disability-Managerin. Gemeinsam überlegen sie, ob hier eine Weiterbildung sinnvoll ist. Dazu lassen sie sich die Stellenbeschreibung vom Unternehmen geben und gleichen diese mit ihrem Wissen, Können und den Erfahrungen ab. Sie kommen zu dem Schluss, dass einige Nachqualifizierungen notwendig sind, die sie sich an der Universität aneignen kann.

Erneut wird ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB IX) beim Rentenversicherungsträger gestellt. Auch hier wird - wie schon bei den technischen Hilfsmitteln - ein Kostenvoranschlag eingeholt und der Antrag (G 130) ausgefüllt, sowie eine Stellungnahme beigebracht. Die leitende Sprachtherapeutin begründet, warum sie trotz der digitalen Hörgeräte vom Arbeitsplatzverlust bedroht ist. Sie legte das schriftliche Angebot und die Stellenbeschreibung des Unternehmens in Kopie bei und begründet und belegt so die Notwendigkeit einer Zusatzausbildung. Der Antrag ist erfolgreich. Die vollen Kosten werden vom Rentenversicherungsträger übernommen.

Leistungen an das Unternehmen

Damit nicht genug: Die Qualifizierung findet im Blockunterricht statt - alle drei Monate zehn Tage (zwei Wochen) hintereinander. In der übrigen Zeit sammelt sie Erfahrungen in der Praxis. Sie begleitete ihre Kolleginnen in die Beratungen und berät auch bereits. Allerdings ist dies noch nicht im Alleingang möglich. Eine Kollegin bleibt dabei. Während dessen aber bleibt deren eigentliche Arbeit liegen. Um das aufzufangen, beantragt das Unternehmen (nach §50 SGB IX) einen Eingliederungszuschuss beim Rentenversicherungsträger.

Auch dieser Antrag ist erfolgreich und das Unternehmen bekommt für ein Jahr die Hälfte des Gehaltes von der Sprachtherapeutin erstattet. Die beiden Kolleginnen, die die Einarbeitung übernehmen erhöhen für ein Jahr ihre wöchentliche Arbeitszeit. Damit ist eine korrekte Einarbeitung ohne Zusatzbelastung für die Kolleginnen gesichert.

Resümee

Hier liegt ein deutliches Beispiel dafür vor, wie viele Möglichkeiten genutzt werden können, um die Teilhabe am Arbeitsleben zu erhalten. Die leitende Sprachtherapeutin hat sich in ihr neues Fachgebiet gut eingearbeitet. Ihre Höreinschränkungen haben keine Auswirkung auf die neue Tätigkeit. Es wurde mit dem guten Willen des Arbeitgebers, den Leistungen des Rentenversicherungsträgers und kompetenter Beratung, ein schwerbehindertengerechter Arbeitsplatz geschaffen, den die Sprachtherapeutin voraussichtlich bis zu ihrer Rente ausüben kann.

Quelle

Dies ist ein Praxisbeispiel vom Institut für Personalentwicklung und Coaching (ipeco) aus dem Buch: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement – herausgegeben vom W. Bertelsman Verlag (wbv).

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Pb/110872


Informationsstand: 01.09.2022