Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement für einen Altenpfleger

Wo lag die Herausforderung?

Der Altenpfleger war längere Zeit krank und es wurde ein Betriebliches Eingliederungsmanagement eingeleitet. In dessen Rahmen stellte sich auch heraus, dass der Altenpfleger die zu betreuenden Personen und die Kolleginnen sowie Kollegen schlecht versteht und sich deshalb zusammenreimt, was sie wohl gesagt haben könnten.

Was wurde gemacht?

Im Betrieblichen Eingliederungsmanagement wurde vorgeschlagen stufenweise wieder zurück in den Job zu kommen und eine HNO-Fachärtzin oder einen HNO-Facharzt aufzusuchen. Danach wurden vom Mitarbeiter neue Hörgeräte angeschafft. Mit Hilfe der neuen Hörgeräte kann der Altenpfleger die zu betreuenden Personen und Kolleginnen bzw. Kollegen wieder ausreichend verstehen.

Schlagworte und weitere Informationen

Die neuen digitalen Hörgeräte wurden von der Krankenkasse mit einem Festbetrag gefördert, der zur Finanzierung der Geräte ausreichend war. Die Beratung zur Hörgeräteversorgung erfolgte durch einen Hörgeräteakustiker, wobei dieser zunächst nur zuzahlungspflichtige Hörgeräte in die Beratung und Versorgung mit einbezog. Nach Hinweis der Krankenkasse auf alternative Hörgeräte, wurden auch diese angeboten, vom Altenpfleger getestet und für völlig ausreichend empfunden.

Mitarbeiter

Der 42 Jahre alte Altenpfleger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 und arbeitet seit sechs Jahren beim Unternehmen.

Unternehmen

Das Unternehmen ist eine Pflegeeinrichtung einer kirchlich tragenden Einrichtung. Sie verfügt über eine Interessenvertretung (Schwerbehindertenvertretung) und hat das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) eingeführt.

Fallschilderung

Der Altenpfleger arbeitet auf einer Station in Wechselschicht mit einer weiteren Kollegin. Am Morgen sind zehn behandelnde Personen zu betreuen, am Nachmittag fünfundzwanzig. Es sind meist pflegebedürftige Personen, die im Bett liegen. Der Altenpfleger ist bei ihnen sehr beliebt, denn er verrichtet seine Arbeit sehr liebevoll und mit viel Geduld.
Der Altenpfleger ist schwerhörig und trägt ein Hörgerät. Er hört sehr schlecht, seine Sprache ist verwaschen. Wenn er von hinten angesprochen wird, versteht er nichts. Die zu behandelnden Personen und Kolleginnen bzw. Kollegen haben gelernt, ihn beim Reden anzuschauen, so dass er vom Mund ablesen kann.
Dann tritt eine längere Krankenzeit auf. Der Altenpfleger wird zu einem BEM-Gespräch eingeladen, dem er zustimmt.

BEM-Gespräch

Am Gespräch nehmen der Inklusionsbeauftragte des Unternehmens, die Mitarbeitervertretung und die Schwerbehindertenvertretung teil.

Gesprächsverlauf

Nach einem freundlichen Willkommen wird der Altenpfleger über das BEM informiert. Sinn und Zweck und Datenschutz werden erklärt. Es wird die Frage gestellt, ob die Erkrankung im Zusammenhang mit der Arbeit steht. Der Altenpfleger verneint.
Er hofft, dass er die Krankheit bald überwunden hat. Der Arzt meint, in drei bis vier Wochen könnte man über eine Wiedereingliederung reden. Das dauert dem Altenpfleger eigentlich zu lange, er will aber durch einen zu frühen Anfang nichts riskieren. Das BEM-Team stimmt ihm zu. Ein zu früher Anfang verschlimmert oft die Krankheitssituation.
Im Laufe des Gesprächs kommt seine Schwerhörigkeit zur Sprache. Der Inklusionsbeauftragte meint sich erinnern zu können, dass zu Beginn der Tätigkeit des Altenpflegers im Betrieb dessen Hörfähigkeit besser gewesen sei. Das kann der Altenpfleger nicht beantworten, berichtet jedoch, wie anstrengend es für ihn sei die Arbeit zu erledigen. Ständig sei er angespannt, weil er Angst hat, die Bewohnerinnen und Bewohner nicht zu hören, wenn sie rufen und er deshalb keine Hilfe leisten kann. Auch wenn die Bewohnerinnen und Bewohner mit ihm reden, bekommt er fast nichts mit, so dass er sich immer zusammenreimt, was sie wohl gesagt haben könnten. Dies führt nicht selten zu Missverständnissen zwischen ihm und den Bewohnerinnen und Bewohnern.
Der Altenpfleger berichtet, dass er schon viele Jahre nicht mehr bei einer Ohrenärztin oder einem Ohrenarzt war. Er glaubt, dass er nichts an seiner Situation ändern kann.
Ihm wird Hochachtung entgegengebracht, wie er in seiner Situation immer freundlich und den Bewohnerinnen und Bewohnern zugewandt, seine Arbeit macht.
Ob er denn nicht doch noch mal zu einer Ohrenärztin oder einem Ohrenarzt gehen wolle, um seine Hörfähigkeit neu prüfen zu lassen? Das will er während seiner Krankschreibung tun. Es wird ein neuer Termin vereinbart werden, wenn der Altenpfleger weiß, wann er mit seiner Wiedereingliederung anfangen kann.

BEM-Folgegespräch

Zum Gespräch erscheint ein völlig veränderter Altenpfleger. Die Anspannung ist verflogen, er wirkt frei und fröhlich. Seine Sprache ist artikuliert, man kann ihn gut verstehen. Er versichert dem BEM-Team, dass er so dankbar sei, dass im BEM-Gespräch der Vorschlag gemacht wurde, doch noch mal eine Fachärztin oder einen Facharzt aufzusuchen. Hätte er gewusst, was so ein Hörgerät zu leisten vermag, hätte er das schon viel früher getan. Nun kann er wieder Sachen hören, von denen er nicht mehr wusste, wie sie klingen.

Wünsche und Vorstellungen

Der Altenpfleger möchte gerne wieder arbeiten. Er möchte aber gleichzeitig nicht zu früh nach seiner Erkrankung wieder mit der Arbeit beginnen, um seine Genesung nicht zu gefährden.

Maßnahme

Es wird gemeinsam vereinbart, dass er während seiner achtwöchigen Wiedereingliederung den Morgendienst macht. In dieser Zeit ist er zusätzlich zur Krankenvertretung anwesend, die nach seinen sechs Wochen Gehaltszahlung eingestellt worden ist. Sie kann während der Wiedereingliederung bleiben, da der Altenpfleger während der Eingliederungszeit weiter Krankengeld bezieht.

Umsetzung der Maßnahme

Der Altenpfleger macht eine achtwöchige Wiedereingliederung. Die ersten vier Wochen arbeitet er vier Stunden, die letzten vier Wochen sechs Stunden täglich.

Abschluss

Der Altenpfleger beantragt mit dem Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers beim Rententräger digitale Hörgeräte. Schon nach drei Wochen bekommt der Altenpfleger eine Mitteilung des Rententrägers, dass er den Antrag an die Krankenkasse weitergeleitet hat. Der Rententräger übernimmt nur dann die Kosten für die Hörgeräte, wenn dies für die Arbeit notwendig ist, sonst die Krankenkasse.
Die Krankenkasse teilt dem Altenpfleger mit, dass eine Neuversorgung zwar medizinisch begründet sei, aber die Übernahme der Kosten für die Geräte aus dem Kostenvoranschlag nicht möglich sei, da von vielen Herstellern mehrkanalige Digitalgeräte mit Störschallunterdrückung und Mehrmikrofontechnik angeboten werden, die zum Festbetrag abgegeben werden können. Es werden von der Krankenkasse zwei Hersteller benannt, bei denen Hörgeräte ohne Zuzahlung zu erhalten sind. Der Altenpfleger ist sehr verunsichert und kontaktiert deshalb die Schwerbehindertenvertretung. Der Altenpfleger glaubt den hohen Restbetrag, der den Festbetrag übersteigt, nun selbst tragen zu müssen. Das konnte er nicht.
Der Hörgeräteakustiker hatte den Altenpfleger nicht darüber informiert, dass es auch zuzahlungsfreie Geräte gibt. Die von der Krankenkasse benannten digitalen Geräte hat der Hörgeräteakustiker nicht vorrätig, bestellt sie aber. Der Altenpfleger gibt die zunächst vorgesehenen Geräte zurück und probiert die von der Kasse empfohlenen. Mit den zuzahlungsfreien Hörgeräten kann der Altenpfleger in der Qualität keinen Unterschied feststellen.

Fazit

Durch interessierte Fragen an der Person und sachlichen Hinweisen im BEM-Gespräch hat der Betroffene die Notwendigkeit des Handelns erkannt. Nicht nur die Hörfähigkeit und die Sprache haben sich durch die neuen Hörgeräte deutlich verbessert. Der Betroffene hat zudem wieder an Selbstsicherheit gewonnen. Ein fähiger Mitarbeiter konnte die volle Teilhabe am Arbeitsleben wieder erreichen.

Zusatzinformation

Quelle

ICF-Items

Mögliche Assessments – Verfahren und Merkmale zur Analyse und Bewertung

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Referenznummer:

Pb/110885


Informationsstand: 24.10.2022