Praxisbeispiel
Betriebliches Eingliederungsmanagement für eine Erzieherin

Wo lag die Herausforderung?

Die Erzieherin fehlte aufgrund einer psychischen Erkrankung und einem damit verbundenen achtmonatigen Krankenhausaufenthalt längere Zeit an ihrem Arbeitsplatz in einer Kindertagesstätte. Die Frau benötigte eine entsprechende Unterstützung, um wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können.

Was wurde gemacht?

Das Unternehmen leitete wegen der Ausfallzeiten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ein, dem die Erzieherin zustimmte. Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme ging es der Frau etwas besser und sie befand sich bereits in einer ambulanten Therapie. Als Maßnahme wurde im Rahmen des BEM gemeinsam beschlossen, eine stufenweise Wiedereingliederung zur Rückkehr in den Job zu nutzen – was so auch gelang.
Während der stufenweisen Wiedereingliederung fanden u. a. mit der Kita-Leitung wöchentliche Reflexionsgespräche statt, um eine Überforderung seitens der Erzieherin zu vermeiden.

Schlagworte und weitere Informationen

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement erfolgte mit Hilfe einer externen Disability Managerin. Während der Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung erhielt die Erzieherin ein Übergangsgeld von der gesetzlichen Rentenversicherung.
In REHADAT finden Sie auch die Adressen und Telefonnummern der Rentenversicherung.

Unternehmen und Mitarbeiterin

Seit 28 Jahren arbeitet die zweiundfünfzigjährige Frau als Erzieherin in einer Kindertagesstätte. Sie arbeitet in ihrem Bereich zusammen mit drei weiteren Erziehungskräften. Zusammen betreuen sie 42 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. Der Arbeitsschwerpunkt der Erzieherin ist der kreative Bereich. Sie ist verantwortlich für das Atelier und für die sportlichen Aktivitäten. Darüber hinaus ist sie Ansprechpartnerin für Elternkontakte und sie ist Mitarbeiterin in der Stadtteilkonferenz, in der sie die Belange der Kita vertritt. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist eingeführt.

Arbeitssituation

Die Erzieherin ist die Macherin in der Kita. Durch ihre langjährige Betriebszugehörigkeit weiß sie über alle Gepflogenheiten im Betriebsablauf bestens Bescheid. Im Betrieb Feste zu organisieren, lag in ihrer Hand. Mit den Kindern geht sie sehr liebevoll um und die Kinder haben sie gern. Die Eltern sehen in ihr eine kompetente Pädagogin, die sie in Erziehungsfragen jederzeit um Rat fragen können.

Zunehmende Fehlzeiten

Dann verändert sich die Erzieherin. Sie wird in unregelmäßigen Abständen krank. Später wird sie acht Monate lang in einem Krankenhaus stationär betreut. Die Kinder und Mitarbeiterinnen, die die Erzieherin sonst in ihrer Krankenzeit Blumen und selbst Gebasteltes brachten, haben keinen Kontakt mehr zu ihr.

BEM-Gespräch

Weil die Erzieherin länger als sechs Wochen krank ist, wird sie vom Unternehmen im Rahmen des BEM automatisch angeschrieben und zu einem BEM-Gespräch eingeladen. Sie stimmt dem zu und in diesem Fall nehmen, außer der Erzieherin, eine Vertretung der Geschäftsleitung, der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertrauensperson teil, denn die Erzieherin hat einen GdB (Grad der Behinderung) von 60 wegen einer Stoffwechselstörung.

In dem Gespräch macht die Erzieherin einen guten Eindruck. Sie freut sich über diese Gelegenheit zum Austausch und erzählt, dass sie auch schon an einen Kontakt gedacht hatte, sich aber nicht getraut hat, danach zu fragen. Sie hat ein schlechtes Gewissen und fühlt sich schuldig, weil der Eindruck entstehen kann, sie hat die Kolleginnen, die Eltern und die Kinder im Stich gelassen. Wenn sie Bekannte auf der Straße sieht, wechselt sie die Straßenseite aus Angst, sie wird nach ihrer Krankheit gefragt wird.

Bericht über die psychische Erkrankung (Angststörung und Depression)

Auf die Frage wie es ihr zurzeit geht, antwortet sie spontan „bestens“, korrigierte sich aber gleich wieder und meint, es geht ihr im Vergleich zur Zeit des Klinikaufenthaltes gut. Die Erzieherin ist eine aufgeschlossene und redegewandte Frau. Um von sich zu erzählen, brauchte sie nur diesen kleinen Impuls der Nachfrage nach ihrem Befinden. Dann nutzt sie die Möglichkeit zum Bericht über ihre Erkrankung: Dass ihr so was passieren kann, hat sie nie für möglich gehalten. Sie hatte schlimme Ängste und Panikattacken. Vorher hat sie sich nicht vorstellen können, welche schlimmen Auswirkungen solch eine Erkrankung haben kann. Im Nachhinein scheinen ihr die Vorkommnisse ganz unwirklich. Aber nun geht es ihr wirklich besser. Sie ist so glücklich diesen Zustand überwunden zu haben. Nun sieht sie wieder nach vorn. Nach der Krankenhausentlassung hat sie eine Reha-Maßnahme beantragt, erzählt sie weiter, die ist jedoch abgelehnt worden. Als Begründung gab der Reha-Träger an, dass in ihrem Fall eine Therapie am Wohnort sinnvoll ist. Inzwischen hat sie eine kompetente und nette Therapeutin gefunden, die mit ihren Fortschritten sehr zufrieden ist. Voll belastbar ist sie wohl noch nicht, aber ihr größter Wunsch ist es, wieder arbeiten zu können. Darüber hat sie auch schon mit ihrer Psychologin gesprochen. Aus ihrer Sicht ist gegen eine langfristige Wiederaufnahme der Arbeit nichts einzuwenden. Im Gegenteil, eine Aufgabe tut ihr sicher gut.

Handlungsmöglichkeiten und Finanzierung

Es wurden in der BEM-Gesprächsrunde die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung besprochen. Eine Wiedereingliederung kann in einem Zeitraum von sechs Wochen bis zu einem halben Jahr erfolgen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass noch ein Anspruch auf Krankengeld besteht (vgl. §48 SGB V). Denn die Finanzierung der Wiedereingliederung ist in der Regel eine Leistung der Krankenkasse.

In dem Gespräch wird die Erzieherin gefragt, wie lange sie noch Krankengeldanspruch hat. Genau weiß sie es nicht, schätzt aber, dass sie noch einige Monate diesen Anspruch hat. Weil die finanzielle Absicherung so zentral für das weitere Vorgehen ist, soll die Erzieherin sofort Kontakt mit der Krankenkasse aufnehmen. Dazu wurde das BEM-Gespräch unterbrochen.

Von dem Telefonat kam die Erzieherin sehr aufgeregt zurück und berichtet, dass sie noch fünf Wochen Krankengeldanspruch hat, dann wird sie ausgesteuert.

Der Vertreter der Geschäftsleitung beruhigt sie indem er versichert, dass man Möglichkeiten finden wird, damit sie bald wieder mit den Kindern arbeiten kann. Es wird vereinbart, in einer Woche wieder zusammenzukommen. Bis dahin soll geklärt werden, welche Möglichkeiten der Unterstützung es gibt.

Die Erzieherin hat mit Unterstützung der Schwerbehindertenvertretung einen Antrag auf eine betriebliche Anpassungsmaßnahme in Verbindung mit § 44 SGB IX gestellt, dies auch ausführlich begründet und die damalige Ablehnung des Antrags auf medizinische Rehabilitation beigefügt. Innerhalb von 14 Tagen bewilligt der Rentenversicherungsträger die Maßnahme für vier Monate. Zusätzlich zu den noch verbleibenden drei Wochen der Zahlungen von der Krankenkasse, bleiben fast fünf Monate Zeit für eine Wiedereingliederung. Der Vertrag der Krankenvertretung der Erzieherin, die schon kurz nach deren Erkrankung zeitlich befristet eingestellt wurde, wird vom Unternehmen für diesen Zeitraum verlängert. Für die Zeit der Wiedereingliederung wird ein Übergangsgeld gezahlt.

Die Wiedereingliederung wird von der Betriebsärztin und der Schwerbehindertenvertretung begleitet. Außer den Teamsitzungen finden mit der Kita-Leitung wöchentliche Reflexionsgespräche statt, um eine Überforderung von der Erzieherin zu vermeiden.

Der Umgang mit den anderen

Die Kolleginnen, Kinder und Eltern haben sie freundlich aufgenommen und ihr signalisiert, dass man sich freut, sie wieder dabei zu haben. Mit Nachfragen, warum sie so lange nicht da war, kann sie offen umgehen, ohne sich großartig erklären zu müssen. Das wird von allen akzeptiert. Langsam und behutsam wird die Erzieherin an den Tagesablauf herangeführt. Sie traut sich immer mehr zu, ist konfliktfähig und sicher im Umgang mit den Kindern und den Eltern. Am Ende der Wiedereingliederung kann die Erzieherin ohne Einschränkung ihren Arbeitsalltag bewältigen. Krankenzeiten traten bei der Erzieherin keine mehr auf.

Resümee

Trotz einer schweren psychischen Erkrankung konnte hier der Einstieg ins Arbeitsleben durch eine lange Wiedereingliederungsphase gelingen. Gestützt durch begleitende Reflexionsgespräche, konnten die Verantwortung und Belastungen langsam gesteigert werden, bis die volle Leistungsfähigkeit erreicht war. Die Erzieherin hat gelernt, dass sie sich nicht nur um andere sorgt, sondern sich auch um sich selbst kümmert. In einer Selbsthilfegruppe hat sie wertvolle Freundschaften geschlossen.

Wir werden in unseren Beratungen immer häufiger mit psychischen Erkrankungen konfrontiert. Die Unsicherheit, wie mit den Betroffenen umzugehen ist, ist groß. Vor allem die Beteiligten an BEM-Gesprächen wissen häufig nicht, was psychisch Erkrankten zuzumuten ist. Wie sind sie anzusprechen? Was kann man ihnen zumuten? Wie erkenne ich, ob sie wieder gesund sind? Mitglieder des Integrations- oder BEM-Teams sind keine Psychologen, die Unsicherheit ist verständlich. Grundsätzlich gilt, ein interessierter, respektvoller Umgang in einer angenehmen Atmosphäre schaffen eine gute Grundlage für Vertrauen und ein entsprechendes Gespräch, in denen Handlungs- und Maßnahmepläne im betrieblichen Bereich entwickelt werden. Ebenso grundsätzlich ist: Alle fachlichen Interventionen liegen nicht in der Zuständigkeit des Integrationsteams! Wohl aber Hinweise auf zuständige Stellen, die helfen können.

Quelle

Dies ist ein Praxisbeispiel vom Institut für Personalentwicklung und Coaching (ipeco) aus dem Buch: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement – herausgegeben vom W. Bertelsman Verlag (wbv).

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Referenznummer:

Pb/110894


Informationsstand: 27.10.2022